So in einem gerade vom Arbeitsgericht Siegburg entschiedenen Fall:
Die Parteien stritten um die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung aus 2020.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 2019 als Lagerist tätig.
Neben dem Kläger war im Lager ein weiterer Mitarbeiter B. beschäftigt. Diese beiden Arbeitnehmen mussten öfter mal zu ihrem Vorgesetzten, wenn sie sich gestritten hatten.
Im Januar 2020 befand sich B. auf der Toilette im Lager. Während er dort seinem Geschäft nachging, schob der Kläger unter der Toilettentür ein Blatt hindurch und stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss. Der Schlüssel fiel auf das Blatt, welches durch den Kläger weggezogen wurde. Der Kläger ließ B. so lange auf der Toilette eingeschlossen, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.
Im Februar 2020 reichte der Kläger seinen Urlaub für die Zeiträume vom 22.06.2020 bis 03.07.2020 und 14.09.2020 bis 26.09.2020 bei der Beklagten ein. Diese wurden ihm trotz mehrfacher Nachfrage zunächst nicht schriftlich bestätigt. Am 17.06.2020 wurde ihm nach einer langen Diskussion für den Zeitraum vom 22.06.2020 bis 27.06.2020 Urlaub gewährt.
Am 18.06.2020 viel der Beklagten (der Arbeitgeberin) auf, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war. Hieraufhin nahm sie Einzelgespräche mit dem Kläger und B. vor. B. ließ sich dahingehend ein, dass er vom Kläger auf der Toilette eingeschlossen wurde und sich nur durch das Eintreten der Tür befreien konnte.
Mit Schreiben vom 18.06.2020 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine außerordentliche fristlose Kündigung aus.
Mit der am 29.06.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 04.07.2020 zugestellten Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung gewandt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigung rechtswidrig sei. Es würde kein Grund bestehen, der die Kündigung rechtfertigen könne. Der Kläger behauptet, dass er zu B. stets ein gutes Verhältnis gehabt habe. Dies auch nach der fristlosen Kündigung. B. habe ihm in einem Telefonat bestätigt, dass er vor ihm keine Angst habe und dass es auch sein Fehler gewesen sei, da er die Tür zu schnell eingetreten habe.
Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, dass der eigentliche Grund für die Kündigung in seinem Urlaubsantrag liege. Die Beklagte habe nach einem Grund gesucht, ihn fristlos zu kündigen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche außerordentliche fristlose Kündigung berechtigt sei, da der Kläger B. der Freiheit beraubt habe und ihre Toilettentür beschädigt wurde.
Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen.Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht1.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung des Arbeitsgerichts Siegburg fest, dass die streitgegenständliche Kündigung wirksam ist. Der wichtige Kündigungsgrund liegt darin, dass der Kläger Herrn B. auf der Toilette einschloss, indem er ihn durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch beraubte der Kläger Herrn B. zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette. Inwieweit es sich um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB handelt, ist nicht entscheidungserheblich. Für die kündigungsrechtliche Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung an, entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses2.
Darüber hinaus besteht ein weiterer wichtiger Grund darin, dass der Kläger durch das Einschließen von B. die Beschädigung der Toilettentür der Beklagten verursachte. Dadurch, dass er Herrn B. so lange den Schlüssel vorenthielt, bis dieser die Toilettentür eintrat, um sich zu befreien, verantwortete er deren Beschädigung. Das Verhalten von B. ist dem Kläger als Veranlasser vollumfänglich zuzurechnen. Dies selbst dann, wenn B., wie vom Kläger behauptet, die Tür zu schnell eingetreten haben sollte. Hätte der Kläger Herrn B. den Schlüssel durch den Trick mit dem Papier nicht entwendet, hätte dieser die Toilette ganz normal verlassen und nicht die Tür eingetreten.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen, so das Arbeitsgericht Siegburg.
Es ist eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine frühere Abmahnung bei besonders schweren Verstößen entbehrlich, da der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt4.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das Arbeitsgericht Siegburg der Überzeugung, dass sowohl das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung das Fortsetzungsinteresse des Klägers überwiegt. Zudem steht zur Überzeugung des Arbeitgerichts Siegburg fest, dass der Kläger durch die Beklagte bezogen auf die begangenen Pflichtverletzungen nicht zuvor abzumahnen gewesen ist. Zum Nachteil des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten erst seit dem 01.09.2019 beschäftigt ist. Er ist noch jung, so dass davon auszugehen ist, dass er zeitnah einen neuen Arbeitsplatz finden wird. Zudem war es zwischen ihm und Herrn Müller bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu diversen Streitigkeiten gekommen, wegen derer die beiden wiederholt zu ihrem Vorgesetzten mussten. Hinzukommend spricht gegen den Kläger, dass dieser den Vorfall der Beklagten nicht freiwillig meldete und den entstandenen Schaden nicht ersetzte.
Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung scheitert nicht aufgrund einer fehlenden Abmahnung, da sie bei dem vorliegenden Sachverhalt wegen der besonderen Schwere des vorgeworfenen Verstoßes entbehrlich ist. Der Kläger durfte in keiner Weise davon ausgehen, dass die Beklagte es duldet, wenn er seinen Kollegen auf der Toilette einschließt und dort so lange eingeschlossen lässt, bis dieser die Tür eintritt, um die Toilette verlassen zu können. Davon, dass eine Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten duldet bzw. lediglich zum Anlass einer Abmahnung nehmen wird, ist nicht auszugehen. Dies musste dem Kläger während der Begehung der Pflichtverletzung bewusst sein. Der Kläger entzog nicht nur seinem Arbeitskollegen die Möglichkeit, sich ungehindert von der Toilette zu entfernen, sondern ist darüber hinaus verantwortlich dafür, dass durch das Auftreten der Toilettentür das Eigentum der Beklagten beschädigt wurde.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Kündigung – so das Arbeitsgericht Siegburg weiter – auch nicht gemäß § 612 a BGB unwirksam. Zwar liegt zwischen den Streitigkeiten der Parteien im Hinblick auf den Urlaub des Klägers und dem Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung nur ein Tag und somit ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum. Dennoch ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass die Kündigung kausal auf dem Vorfall mit der Toilettentüre und nicht aufgrund des Urlaubsantrags des Klägers beruht. Dies, da die Beklagte dem Kläger am 17.06.2020 noch Urlaub für den Zeitraum vom 22.06.2020 bis 27.06.2020 gewährte und erst am 18.06.2020 von dem Vorfall aus Januar 2020 erfuhr.
- BAG, Urteil vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08 [↩]
- Erfurter Kommentar/Niemann, 21. Auflage 2021, § 626 BGB, Rd-Nr. 133 a [↩]
- BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 [↩]
- ErfK/Müller-Glöge, 13. Auflage 2013, § 626 BGB, Rdnr. 29 e [↩]