Mieterhöhung: Es muss nicht der aktuelle Mietspiegel sein

Es ist allgemein bekannt, dass ein Vermieter sein Mieterhöhungsverlangen auch auf den Mietspiegel der entsprechenden Gemeinde stützen kann, wie es §§ 558, 558a BGB vorsehen.

Wie sieht es nun aber aus, wenn der Vermieter sich nicht auf den ganz aktuellen Mietspiegel bezieht, sondern auf einen früheren?

Wir hatten hier bereits über eine Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg berichtet, in dem dieses entschieden hat, dass eine solche Bezugnahme jedenfalls dann nicht ausreicht, wenn sich die Bewertungskriterien in der Zwischenzeit geändert haben.

Das Amtsgericht Hamburg-Mitte hat nun entschieden, dass ein Erhöhungsverlangen formell ordnungsgemäß durch Bezugnahme auf einen „veralteten“ (qualifizierten) Mietenspiegel begründet werden kann, wenn der zeitlich nachfolgende neue (qualifizierte) Mietenspiegel zum Zeitpunkt des Zugangs des Erhöhungsverlangens noch nicht allgemein zugänglich ist und der „veraltete“ Mietenspiegel aufgrund seines fortwirkenden Informationsgehalts noch dem Zweck des formellen Begründungserfordernisses gemäß § 558a Abs. 1 BGB genügt.

Worum ging es konkret?

Die Klägerin begehrt Zustimmung zu einer Mieterhöhung zur ortsüblichen Vergleichsmiete.

Die in normaler Lage belegene Wohnung des Beklagten ist 80,84 m² groß und mit Bad und Sammelheizung ausgestattet.

Die Nettokaltmiete betrug zuletzt und seit drei Jahren unverändert € 516,55.

Mit unter Bezugnahme auf den Hamburger Mietenspiegel 2019 begründetem Schreiben vom 23. April 2021 verlangte die Klägerin von dem Beklagten die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete um € 77,48 pro Monat auf € 594,03 mit Wirkung ab dem 01. Juli 2021. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Anlage K2 Bezug genommen.

Der Beklagte erteilte seine Zustimmung nicht.

Die Klägerin behauptet, die Wohnung sei in die Baualtersklasse 1960 einzuordnen.

Die Klägerin erhob daraufhin Klage und beantragte, den Beklagten zu verurteilen, für seine Wohnung der Erhöhung der Nettokaltmiete von 516,55 € auf 594,03 € mit Wirkung ab dem 01. Juli 2021 zuzustimmen.

Die Wohnung sei erst 1961 bezugsfertig gewesen, weshalb das Rasterfeld „I3“ des Hamburger Mietenspiegels anzuwenden sei. Mieterhöhungsverlangen der Vergangenheit seien ebenfalls von diesem einschlägigen Rasterfeld ausgegangen. Der Energieausweis für das Gebäude weise als Baujahr 1961 aus. Der Gebrauchsschein sei bereits vor Fertigstellung des Gebäudes ausgestellt worden, um eine sonst drohende Wohnungslosigkeit einer Erstmieter-Familie zu vermeiden. Als maßgeblichen Zeitpunkt komme es auf die Bauabnahme durch den Bauherrn an. Im Übrigen sei dem hier betroffenen Grenzbereich zwischen zwei Baualtersklassen jedenfalls durch eine relative rechnerische Angleichung der angrenzenden Spannenwerte Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass das Objekt seinerzeit möglichst kostengünstig erbaut worden sei und sich nunmehr allgemein in einem renovierungsbedürftigen Zustand befinde. Modernisierungsmaßnahmen seien von Vermieterseite nicht veranlasst worden.

Der beklagte Mieter wehrte sich auch vor Gericht gegen die Klage.

Die Entscheidung:

Die Bezugnahme auf die Spannenwerte des Hamburger Mietenspiegels 2019 genügt den formellen Anforderungen nach § 558a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB auch dann, wenn sich die materielle Berechtigung des Erhöhungsverlangens zum Zeitpunkt des Zugangs des Erhöhungsverlangens nach dem am 13. Dezember 2021 erschienenen Hamburger Mietenspiegel 2021 richtet, dessen für seine Anwendbarkeit maßgeblicher Erhebungsstichtag (01. April 2021) noch vor dem Zugang des Erhöhungsverlangens liegt.

Ein Erhöhungsverlangen kann formell ordnungsgemäß durch Bezugnahme auf einen „veralteten“ (qualifizierten) Mietenspiegel begründet werden, wenn der zeitlich nachfolgende neue (qualifizierte) Mietenspiegel zum Zeitpunkt des Zugangs des Erhöhungsverlangens noch nicht allgemein zugänglich ist und der „veraltete“ Mietenspiegel aufgrund seines fortwirkenden Informationsgehalts noch dem Zweck des formellen Begründungserfordernisses gemäß § 558a Abs. 1 BGB genügt.

Dies folgt zum einen daraus, dass nach der Systematik der Vorschriften der §§ 558, 558a BGB zu unterscheiden ist zwischen Anforderungen, die an ein formell ordnungsgemäßes Erhöhungsverlangen zu stellen sind, und solchen, die die materielle Berechtigung jenes Verlangens betreffen. Entsprechend unterscheiden sich die Rechtsfolgen, welche an die formelle beziehungsweise materielle Rechtmäßigkeit anknüpfen.

Daher lässt ein inhaltlicher Fehler der Begründung die Wirksamkeit des Erhöhungsverlangens in formeller Hinsicht unberührt1, solange die Begründung noch ihren Zweck erfüllt, es dem Mieter zu ermöglichen, die sachliche Berechtigung des Erhöhungsverlangens zu überprüfen2 und die fehlerhafte Begründung nicht vorsätzlich erfolgt3.

Des Weiteren gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, so das Amtsgericht Hamburg-Mitte weiter, dass Unmögliches oder Unzumutbares zu leisten von niemandem verlangt werden kann. Ein diesem Grundsatz widersprechender Rechtssatz entbehrte eines notwendigen Gerechtigkeitsgehalts. Genau darauf liefe indes die Forderung hinaus, das Mieterhöhungsverlangen mit einem materiell anwendbaren Mietenspiegel zu begründen, welcher noch nicht verfügbar ist.

Der insofern materiell um weniger als einen Monat „veraltete“ Mietenspiegel 2019 war aufgrund seines fortwirkenden Informationsgehalts nach wie vor tauglich, dem Zweck des formellen Begründungserfordernisses gemäß § 558a Abs. 1 BGB Genüge zu tun4.

Die Klägerin hat daher nach Auffassung des Amtsgerichts Hamburg-Mitte gemäß § 558 Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch auf Zustimmung zur verlangten Erhöhung, da diese jedenfalls der ortsüblichen Vergleichsmiete entspricht.

Anwendbar ist der Hamburger Mietenspiegel 2021, welcher als qualifizierter Mietenspiegel die Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 BGB entfaltet.

Ungeachtet des Umstands, dass zum Zeitpunkt des Zugangs des Erhöhungsverlangens, welcher für die Beurteilung der materiellen Berechtigung desselben relevant ist5, der am 13.12.2021 veröffentlichte Hamburger Mietenspiegel 2021 noch nicht allgemein verfügbar und die darin enthaltenen Rasterfelder und Spannenwerte dementsprechend für die Allgemeinheit unbekannt waren, ist dieser Mietenspiegel dennoch für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen.

Im Falle eines neu erstellten qualifizierten Mietenspiegels kommt es für das Eingreifen der Vermutungswirkung nach § 558d Abs. 3 BGB in zeitlicher Hinsicht auf den Erhebungsstichtag, nicht erst den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Mietenspiegels, an.

Denn die Vermutung des § 558d Abs. 3 BGB gründet auf der Qualität eines qualifizierten Mietenspiegels, welcher den in § 558d Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 BGB aufgestellten Anforderungen an wissenschaftlicher Methodik und Aktualität genügt6. Insoweit ist ein qualifizierter Mietenspiegel für die richterliche Überzeugungsbildung vergleichbar einem antezipierten Sachverständigengutachten. Dann aber kann es für die Frage, welcher Mietenspiegel heranzuziehen ist, nicht auf das Erscheinungsdatum des jeweiligen Mietenspiegels ankommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der qualifizierte Mietenspiegel – wie der Hamburger Mietenspiegel 2021, vgl. dessen Erläuterungen unter 1. – neu erstellt ist und die nach statistischer Erhebung tatsächlich gezahlten Mieten wiedergibt. Das Erscheinungsdatum ist für die statistisch-datenbasierte Aussagekraft eines neu erstellten und nicht lediglich gemäß § 558d Abs. 2 S. 2 BGB indexbasiert fortgeschriebenen Mietenspiegels ohne Relevanz.

Insofern kann es bei zeitlich aufeinander folgenden Mietenspiegeln für die zeitliche Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche allein auf den Erhebungsstichtag des nachfolgenden Mietenspiegels ankommen, so das Amtsgericht Hamburg-Mitte. Ansonsten basierte die Vermutung für die Richtigkeit eines neu erstellten qualifizierten Mietenspiegels in zeitlicher Hinsicht auf dem willkürlichen Umstand des Veröffentlichungsdatums, was der Intention des Gesetzgebers nicht entsprechen kann.

Einer solchen Betrachtung steht nicht entgegen, so das Amtsgericht Hamburg-Mitte weiter, dass sich die Parteien, zwischen denen die materielle Berechtigung eines Mieterhöhungsverlangens in Streit steht, zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entscheidungen über das Erhöhungsverlangen und die Nicht-/Zustimmung dazu möglicherweise in einem Zustand nicht aufklärbarer Ungewissheit über die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete befinden. Dies entspricht vielmehr der allgemeinen Rechtswirklichkeit, in der Gewissheit über bestimmte Tatsachen, welche bedeutungsvoll für Entscheidungen erheblicher Tragweite sein mögen, häufig nur retrospektiv oder gar nicht zu erlangen ist. Nicht anders tragen die Parteien einer Rechtsstreitigkeit, die ein Mieterhöhungsverlangen zum Gegenstand hat, jeweils das allgemeine Lebensrisiko, sich zu irren.

Einschlägig ist das Rasterfeld „H3“ des Hamburger Mietenspiegels 2021.

Nach den Feststellungen des Gerichts gemäß § 418 Abs. 1 ZPO ist die Wohnung in die Baualtersklasse bis 1960 einzuordnen.

Die Bezugsfertigkeit einer baulich abgeschlossenen Einheit als Wohnung ist gegeben, sobald alle Gewerke fertiggestellt sind, welche zu einer Wohnnutzung notwendig sind und ein sicherer Zutritt zu den Räumen möglich ist. Der Bezugsfertigkeit steht nicht entgegen, dass noch die Fertigstellung der Außen- oder Nebenanlagen oder kleinere, unwesentliche Arbeiten ausstehen. Auf den Zeitpunkt der Bauabnahme oder des Erstbezugs kommt es nicht an7.

Amtsgericht Hamburg-Mitte, Urteil vom 29.04.2022 – 48 C 251/21

Anmerkung:

Gerade im Hinblick auf die aktuell steigenden Kosten ist zu erwarten, dass sowohl Mieter als auch Vermieter vermehrt auf ihre Kosten achten und auf ihre Recht pochen werden. Beiden Seiten kann nur angeraten werden, sich frühzeitig von Rechtsanwälten beraten und vertreten zu lassen, die im Mietrecht tätig sind.

  1. BGH, Versäumnisurteil vom 06.07.2011 – VIII ZR 337/10 []
  2. BGH, Urteil vom 13.11.2013 – VIII ZR 413/12 []
  3. AG Hamburg, Urteil vom 22.12.2021 – 49 C 213/21; AG Hamburg, Urteil vom 29.10.2021 – 49 C 119/21 []
  4. Abgrenzung: BGH, Urteil vom 16.10.2019 – VIII ZR 340/18; AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 27.02.2018 – 5 C 800/17 []
  5. BGH, Urteil vom 15.03.2017 – VIII ZR 295/15 []
  6. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 15. Aufl. 2021, BGB § 558d Rn. 130 []
  7. BGH, Urteil vom 15.04.2004 – VII ZR 397/02; OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.1994 – 21 W 16/92 []

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