Rennt ein Hund eine Person um und diese zieht sich Verletzungen zu, ist dies natürlich bedauerlich. Ein bloßes Umrennen bedeutet aber nicht, dass Maßnahmen nach dem Landeshundegesetz NRW ergriffen werden könnten, weil der Hund „einen Menschen in Gefahr drohender Weise angesprungen“, so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.
In dem entschiedenen Eilverfahren hatte der Hund der Antragstellerin eine andere Person umgerannt, die sich dadurch Verletzungen zuzog.
Die beklagte Behörde war der Auffassung, dass es sich dabei um ein „Anspringen in gefahrdrohender Weise“ nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 LHundG NRW handele.
Die Behörde ordnete daraufhin – unter Anordnung des Sofortvollzugs – einen vorläufigen Leinen- und Maulkorbzwang an bis zu einer Begutachtung zur Gefährlichkeit des Hundes.
Der hiergegen gerichtete Eilantrag war vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erfolgreich.
Die Entscheidung:
Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Anordnung des Maulkorb- und Leinenzwangs auf § 12 Abs. 1 LHundG NRW, wonach die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen kann, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen die Vorschriften des Landeshundegesetzes, abzuwehren. Danach wird die Antragsgegnerin auch zu vorläufigen Sicherungsmaßnahmen für die Zeit bis zur Begutachtung eines Hundes gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW und ggf. Feststellung seiner Gefährlichkeit ermächtigt, sofern ein begründeter Verdacht gegeben ist, dass einer der Tatbestände des § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW erfüllt ist. Zu diesen im Stadium der Gefahrerforschung zulässigen Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr zählt insbesondere die Anordnung eines vorläufigen Leinen- und/ oder Maulkorbzwangs. Der Abschluss der amtstierärztlichen Begutachtung bildet sodann eine Zäsur, nach welcher die Behörde anschließend darüber entscheidet, ob sie nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW die Gefährlichkeit des Hundes feststellt oder nicht1.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen aller Voraussicht nicht vor.
Nach summarischer Prüfung fehlt es an einem begründeten Ver-dacht dafür, dass der Hund der Antragstellerin gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 LHundG NRW einen Menschen in Gefahr drohender Weise angesprungen hat. Ein „Anspringen“ im Sinne der Norm setzt nach dem allgemeinen Begriffsverständnis einen oder mehrere gezielte Sprünge gegen eine Person bzw. an einer Person hoch voraus.
Die von der Antragsgegnerin angeführten Verhaltensweisen der „frontalen“ bzw. „nicht freundlichen Annäherung“, des „Rempelns“ und „Anrempelns“ erfüllen diese Voraussetzung ebenso wenig wie ein Geschehen, bei dem der betreffende Hund auf einen Menschen „zuläuft“ oder „zurennt“.
Die Subsumtion derartiger Sachverhalte unter den Tatbestand des „Anspringens“ in gefahrdrohender Weise gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 LHundG NRW überschreitet die durch den Wortlaut gezogene Grenze. Für eine solche Überdehnung des gesetzlichen Tatbestands gibt es keine Rechtfertigung. Sie ist insbesondere nicht aus Gründen des Normzwecks geboten. Rennt ein Hund auf einen Menschen zu bzw. rempelt er ihn an, begründet dies typischerweise nicht die gleiche Gefahrenintensität wie ein Anspringen in gefahrdrohender Weise, bei dem in der Regel die Vorderpfoten und auch der Kopf samt Gebiss des Hundes in Richtung des Oberkörpers des Menschen in besonders verletzungsträchtiger Weise erhoben werden.
Es fehlt an jedem Anhalt dafür, dass der Hund bei dem Vorfall eine Person im oben genannten Sinn angesprungen hat. Aus der Verwaltungsakte geht zwar hervor, dass die Geschädigte des Vorfalls durch den Hund der Antragstellerin zu Fall gebracht wurde und dabei eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitten hat. Ihrer Schilderung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der Hund hierbei gezielt auf sie zugesprungen ist. Vielmehr hat sie danach „im Weg“ gestanden, als der Hund der Antragstellerin auf sie und ihren Hund „zukam“, um auf ihren am Boden befindlichen Hund „loszugehen“. Dass es hiernach an einem Sprung geschweige einem gezielten Sprung fehlt, wird dadurch untermauert, dass die Geschädigte von der Antragsgegnerin im Vorfeld explizit zu derartigen Verhaltensweisen befragt wurde. Die Antragsgegnerin selbst räumt der Sache nach ein, dass ein im vorstehenden Sinne gegen die Geschädigte gerichteter Sprung des Hundes nicht feststellbar ist. Sie meint vielmehr, das „Anrempeln“, „Umrennen“ bzw. die „nicht freundliche Annäherung“ im Sinne eines „in die Weite“ gerichteten „Anspringens“ unter den Tatbestand des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 LHundG NRW subsumieren zu können. Das ist jedoch mit dem dargelegten Maßstab nicht vereinbar.
Überwiegt das Aussetzungsinteresse hinsichtlich der streitbefangenen Anordnung eines vorläufigen Maulkorb- und Leinenzwangs, gilt entsprechendes auch für die zu ihrer Durchsetzung erlassene Zwangsgeldandrohung.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 22.05.2025 – 19 L 237/25 – rechtskräftig
Hinweis: Nach dem deutlichen Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat die beklagte Behörde die angefochtene Ordnungsverfügung aufgehoben, so dass sich das Klageverfahren erledigt hat.
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. 11.2013 – 5 B 592/13 [↩]