Hundehaltungsverbot: Leinenpflicht ist Leinenpflicht und Lügen haben kurze Beine

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Beschwerde gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden1 zurückgewiesen, welches die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Hundehaltungsverbotes bestätigt hatte, da der Halter u.A. eine angeordnete Leinenpflicht missachtet und den Verbleib von Hunden verschleiert hatte.

In dem entschiedenen Fall ging es um die angeordnete Untersagung des Haltens und Führens von gefährlichen Hunden, Hunden bestimmter Rassen und großen Hunden im Sinne der §§ 3, 10 und 11 LHundG NRW.

Die Antragsgegnerin konnte nach Auffassung des Oberverwaltunggerichts Münster die Haltungsuntersagung voraussichtlich rechtmäßig auf § 12 Abs. 1 LHundG NRW stützen. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Vorschriften dieses Gesetzes, abzuwehren. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

Soweit der Antragsteller bezogen auf seine fehlende Zuverlässigkeit einwendet, das Geschehen am 26.09.2021 stelle keinen Verstoß gegen die mit Ordnungsverfügung vom 13.01.2020 angeordnete Leinenpflicht dar, ist damit ein Rechtsfehler des Verwaltungsgerichts nicht aufgezeigt.

Die genannte Ordnungsverfügung, mit der angeordnet wurde, die Hunde „ab sofort nur noch angeleint auszuführen“, bezieht sich nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster auch auf ein Säubern der Hunde am Auto. Die Leinenpflicht umfasst nicht allein ein etwaiges „Spazierengehen“ mit den Hunden, sondern auch den Zeitraum einschließlich des sicheren Verbringens der Tiere in den abgeschlossenen Innenraum des Fahrzeugs. Die vom Antragsteller vertretene Auslegung, der Vorgang des Saubermachens der Tiere „nach“ einem konkreten „Ausführen“ sei nicht Teil des Ausführens, trifft nicht zu. Eine solche Auslegung ließe gerade bei einer unübersichtlichen Situation im unmittelbaren Anschluss an einen Spaziergang mit (mehreren) Tieren, während derer der Halter unter Umständen zugleich mit dem Öffnen und Vorbereiten des Fahrzeugs, dem Säubern der Tiere und anderem beschäftigt und gegebenenfalls abgelenkt ist, eine Schutzlücke. Sinn und Zweck des dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Menschen sowie anderer Tiere dienenden Leinenzwangs lassen eine andere Auslegung als fernliegend erscheinen.

Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht Minden habe bei seiner Bewertung der Zuverlässigkeit nicht zwischen der Zuverlässigkeit für große Hunde nach § 11 LHundG NRW und derjenigen für gefährliche oder in § 10 LHundG NRW gelistete Hunde unterschieden, bleibt ohne Erfolg. Zutreffend ist, so das Oberverwaltungsgericht Münster weiter. dass das Landeshundegesetz NRW für große Hunde einen anderen Zuverlässigkeitsbegriff zugrunde legt als für gefährliche Hunde und Hunde bestimmter Rassen. Etwas anderes hat aber auch das Verwaltungsgericht nicht angenommen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend die Maßstäbe des beschließenden Senats des Oberverwaltungsgerichts Münster angelegt, nach denen jedenfalls die Unzuverlässigkeit eines Hundehalters anzunehmen ist2 und ausgehend hiervon konkrete und überzeugende Feststellungen zur fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers getroffen. Mit diesen Feststellungen und Bewertungen setzt sich das Beschwerdevorbringen entgegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht hinreichend auseinander, sondern wendet nur pauschal ein, das Verwaltungsgericht habe „nicht ausreichend differenziert“. Dass die einzelfallbezogenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hingegen falsch sind, zeigt die Beschwerde nicht auf.

Bei einer im Eilverfahren allein möglichen vorläufigen Prüfung der Rechtslage spricht Überwiegendes für die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der mit der Ordnungsverfügung angeordneten Untersagung von Haltung und Führen von Hunden der genannten Kategorien auch ohne Anordnung einer konkreten, auf einzelne bestimmte Hunde bezogenen Haltungsuntersagung. Nach den Maßstäben des einstweiligen Rechtsschutzes stellt sich die Anordnung einer sogenannten isolierten erweiterten Haltungsuntersagung ohne konkrete Haltungsuntersagung nicht als offensichtlich rechtswidrig dar. Der Regelfall einer erweiterten Haltungsuntersagung als Annexmaßnahme zur konkreten Haltungsuntersagung findet seine Rechtsgrundlage in § 12 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW. Danach kann – im Anschluss an die Untersagungsbefugnisse nach § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW („soll“, bezogen auf gefährliche Hunde oder Hunde im Sinne des § 10 Abs. 1) und Satz 2 („kann“, bezogen auf große Hunde im Sinne des § 11 Abs. 1) – mit der Untersagung die Untersagung einer künftigen Haltung gefährlicher Hunde, von Hunden im Sinne des § 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 verbunden werden. Diese sogenannte erweiterte – oder auch abstrakte – Haltungsuntersagung ist eine Annexmaßnahme zu einer konkreten Haltungsuntersagung eines oder mehrerer konkreter Hunde und setzt diese voraus. Sie bezieht sich nach dem klaren Wortlaut des § 12 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW ausschließlich auf eine künftige Haltung von im Einzelnen noch unbekannten Hunden und ist genereller und abstrakter Natur3.

Die Ermächtigungsgrundlage des § 12 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW dürfte damit nur greifen, wenn zugleich eine Haltungsuntersagung nach den Sätzen 1 oder 2 ausgesprochen wird, also beim Halter konkrete Tiere vorhanden und identifizierbar sind. Mit anderen Worten, eine nach pflichtgemäßem Ermessen anzuordnende erweiterte Haltungsuntersagung gegenüber einem Hundehalter ist auf § 12 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW zu stützen, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung davon auszugehen ist, dass sich die Tiere – und welche – noch im Verantwortungs- und Zugriffsbereich des Halters befinden. Jedenfalls wenn dies nach dem Erkenntnisstand der Behörde jedoch nicht mehr der Fall ist oder hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Hundehalter nach Einleitung eines auf eine konkrete Haltungsuntersagung gerichteten Verwaltungsverfahrens die Hunde abgeben oder deren Aufenthalt verschleiern könnte, dürfte viel dafür sprechen, dass in diesem Fall auch ohne eine solche konkrete Haltungsuntersagung generell die künftige Haltung und das Führen von Hunden auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 LHundG NRW untersagt werden kann. § 12 Abs. 1 LHundG NRW als spezialgesetzliche Generalklausel zur Abwehr von Gefahren durch Hunde4 erfasst voraussichtlich auch Haltungsuntersagungen, für die es im Einzelfall keine speziellere Ermächtigungsgrundlage in § 12 Abs. 2 LHundG NRW gibt5.

Für einen generell abschließenden Charakter von § 12 Abs. 2 LHundG NRW dürfte es insoweit keinen Anhaltspunkt geben. Die Zulässigkeit einer isolierten erweiterten Haltungsuntersagung auf Grundlage von § 12 Abs. 1 LHundG NRW dient einer effektiven Gefahrenabwehr, die ihre Berechtigung gerade in der Person der Hundehalter selbst und nicht (auch) individualisierten Hunden findet. Unter der genannten Einschränkung, möglichen Umgehungen von nach § 12 Abs. 2 LHundG NRW angeordneten Maßnahmen durch Hundehalter zu begegnen, dürfte insoweit wohl auch keine gesonderte gesetzliche Regelung erforderlich sein. Der vom Antragsteller angeführte Vergleich mit der erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO bzw. § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO erscheint dem Senat wegen der unterschiedlichen Regelungsbereiche und des besonderen Grundrechtsrechtsschutzes der Gewerbefreiheit nicht tragfähig.

Nach summarischer Prüfung der Sachlage bestanden für die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung in der Fassung der Ergänzungsverfügung hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller über die von ihm gehaltenen Hunde unwahre Angaben gemacht hat und die Existenz konkreter Tiere verschleiern wollte, was eine isolierte erweiterte Haltungsuntersagung nach § 12 Abs. 1 LHundG NRW rechtfertigen kann. Die Antragsgegnerin weist insoweit voraussichtlich zutreffend darauf hin, dass einige der in Obhut des Antragstellers befindlichen Hunde unmittelbar vor der Sicherstellung von ihm bereits weggeschafft worden sind, ihre Existenz geleugnet wurde und falsche Angaben zu Anzahl und Identität sowie Aufenthaltsort von Hunden gemacht wurden, so dass im Einzelnen wohl nicht mehr nachzuvollziehen gewesen sein dürfte, wo sich die Hunde befanden und auf welche Hunde sich eine konkrete Haltungsuntersagung erstrecken müsste.

Schließlich ist die vom Verwaltungsgericht angestellte erfolgsunabhängige Interessenabwägung nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung mit dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers unabhängig von der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung in Abwägung gebracht und festgestellt, dass die bei einer Stattgabe des Eilantrags vom Antragsteller und dessen Haltungsgebaren ausgehenden möglichen Gefahren für Dritte oder deren Tiere schwerer wiegen als die – bei einem Erfolg in der Hauptsache vorübergehende – Vorenthaltung von Hunden und der damit verbundenen Zuchtmöglichkeiten. Das Gewicht der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter, die durch das bisherige Verhalten des Antragstellers und der von ihm gehaltenen Hunde schon bisher gefährdet wurden und weiterhin gefährdet würden, wiegt ungleich schwerer als Interessen des Hundehalters oder auch Gründe des Tierschutzes (Verbleib des Hundes in seiner gewohnten Umgebung oder bei gewohnten Personen). Jedenfalls in Fällen wie hier, in denen Hunde nicht beanstandungsfrei gehalten wurden und es zu Schädigungen der körperlichen Unversehrtheit Dritter gekommen ist, gebietet Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein wirksames und effektives Einschreiten gegen die bestehende Gefahrenlage. Es liegt im überwiegenden öffentlichen Interesse der Antragsgegnerin, Menschen und Tiere vor etwaigen Angriffen durch einen Hund zu bewahren; Privatinteressen des Hundehalters und Tierschutzinteressen müssen dabei regelmäßig hintanstehen.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 28.04.2023 – 5 B 467/22
ECLI:DE:OVGNRW:2023:0428.5B467.22.00

  1. VG Minden, Beschluss vom 18.03.2022 – 11 L 864/21 []
  2. OVG NRW, Urteil vom 07.12.2021 – 5 A 3371/19 []
  3. VG Köln, Beschluss vom 17.09.2021 – 20 L 1400/21; siehe auch LT-Drs. 13/2387, S. 32 []
  4. vgl. LT-Drs. 13/2387, S. 32 []
  5. so jedenfalls VG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 – 18 K 8302/19 []

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