Der verletzte Hundehalter und die Haftungsquote

Ein Hund muss nicht jeden Artgenossen mögen. Gut ist es, wenn sich die Kandidaten einfach ignorieren. Manchmal kommt es jedoch auch zu handfesten Auseinandersetzungen. Hat dies Verletzungen des „Kontrahenten“ zur Folge und dann auch noch eine des Hundführers, wird es rechtlich spannend.

Über Entscheidungen zu dieser Problematik hatten wir bereits hier und hier berichtet.

Nun hat sich der Bundesgerichtshof zu dieser Thematik geäußert.

Der Bundesgerichtshof hat folgende Leitsätze verfasst:

  1. Kommt es zu einem Gerangel zwischen zwei Hunden, in dessen Rahmen der Halter des einen Hundes von dem anderen Hund gebissen wird, so ist die typische Tiergefahr des Hundes des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden. Dies muss sich der Geschädigte entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 S. 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 S. 1 BGB anrechnen lassen.
  2. Eine Anspruchsminderung wegen mitwirkender Tiergefahr ist allerdings dem Sinngehalt des § 840 Abs. 3 BGB entsprechend ausgeschlossen, wenn der Halter des schädigenden Hundes dem Geschädigten auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Der Sachverhalt, über den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte:

Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Hundebiss auf Ersatz des
materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Der Kläger ging an dem Grundstück der Beklagten vorbei. Er führte seinen Hund, einen Labrador-Mischling, angeleint bei Fuß, wobei die Hundeleine um sein linkes Handgelenk gewickelt war. Auf dem Grundstück der Beklagten befand sich deren Hund, ein Golden Retriever. Dieser zwängte sich durch die etwa einen Meter hohe Hecke, durch die das Grundstück von dem Weg abgegrenzt war, und rannte auf den Kläger und dessen Hund zu. Es kam zu einem Gerangel und einem Kampf zwischen den Hunden, wobei der Hund der Beklagten immer wieder am Kläger hochsprang. Zwischen den Hunden stehend und mit der sein Handgelenk umwickelnden Leine war der Kläger in seiner Abwehr eingeschränkt und konnte sich nicht befreien. In dieser Situation wurde er von dem Hund der Beklagten gebissen. Er trug blutende Wunden davon.

Das Landgericht Erfurt hat dem Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 €
sowie Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 1.560,10 € wegen Beschädigung der Kleidung und der Brille des Klägers zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen1. Auf die Berufung der Beklagten, mit der diese das
Urteil des Landgerichts insoweit angegriffen hat, als sie zur Zahlung von mehr
als 880,05 € verurteilt worden ist, hat das Oberlandesgericht Jena das Urteil des Landgerichts Erfurt abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 2.660,10 € verurteilt, wobei es das Schmerzensgeld auf einen Betrag von 1.100 € reduzierte2.
Auf die Berufung des Klägers hat es zudem die Beklagte zur Freistellung von
vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufungen
beider Parteien zurückgewiesen.

Der Bundesgerichtshof sieht dies etwas anders und hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht Jena hat die Beklagte als Halterin des Golden Retriever
gemäß § 833 Satz 1 BGB für verpflichtet erachtet, dem Kläger alle materiellen
und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese auf den Hundebiss zurückzuführen sind. Dabei müsse sich der Kläger kein eigenes  Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, da er keine bewussten Handlungen dahingehend unternommen habe, in den Streit zwischen den Hunden einzugreifen, diese zu trennen oder den Angriff des Hundes der Beklagten auf seinen Hund abzuwehren. Er müsse sich ferner nicht die Tiergefahr seines Hundes analog § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Auch wenn der Hund der Beklagten höchstwahrscheinlich nicht auf den Kläger losgegangen wäre, wenn dieser ohne Hund unterwegs gewesen wäre, stelle allein der Umstand, dass der Kläger seinen Hund angeleint bei sich geführt habe, keinen dem Kläger zurechenbaren Verursachungsbeitrag für den durch das aggressive Verhalten des Hundes der Beklagten entstandenen Schaden dar. Allein die Tatsache, dass der Hund des Klägers ein Hund sei, begründe keine Mithaftung des Klägers.
Der Zahlungsausspruch im Urteil des Landgerichts Erfurt sei um 900 € zu reduzieren, da die Beklagte diesen Betrag bereits auf das Schmerzensgeld geleistet habe.

Warum sieht der Bundegerichtshof dies anders?
Das angefochtene Urteil begegnet nach Auffassung des Bundesgerichtshofs
auch insoweit durchgreifenden Bedenken, als lediglich eine Haftung der Beklagten als Tierhalterin nach § 833 Satz 1 BGB angenommen, nicht aber der Frage einer verschuldensabhängigen Haftung nach § 823 BGB nachgegangen worden ist. Sollten deren Voraussetzungen erfüllt sein, wozu die notwendigen
Feststellungen nachzuholen sein werden, käme der von dem Labrador-Mischling des Klägers ausgehenden Tiergefahr keine Bedeutung zu (§ 840 Abs. 3 BGB), so dass die Beklagte im Ergebnis ebenfalls in vollem Umfang haften
würde.

Zutreffend ist das Oberlandesgericht Jena davon ausgegangen, dass die Beklagte (jedenfalls) gemäß § 833 S. 1 BGB dem Grunde nach für den Schaden einzustehen hat, der daraus entstanden ist, dass ihr Golden Retriever den Kläger gebissen hat. Hingegen hält die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich im Rahmen der Haftung der Beklagten gemäß § 833 Satz 1 BGB die von seinem Hund ausgehende Tiergefahr nicht analog § 254 BGB schadensmindernd anrechnen lassen, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen
Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies
entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 S. 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch
aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen3. Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist4. Eine typische Tiergefahr äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten5. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist6 oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt7. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen8.
Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der
Verursachungsbeiträge der beiden Tierhalter kommt es sodann darauf an, mit
welchem Gewicht konkret sich das in den Tieren jeweils verkörperte Gefahrenpotential in der Schädigung manifestiert hat9.
Die Feststellungen des Oberlandesgerichts Jena tragen dessen rechtliche
Beurteilung, die Tiergefahr des Labrador-Mischlings stelle keinen dem Kläger
zurechenbaren Verursachungsbeitrag für die Schadensentstehung dar, nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht.
Dabei kann dahinstehen, so der Bundegerichtshof, ob und unter welchen Voraussetzungen es das rein passive Verhalten eines Tieres ausschließen würde, von einer bei der Entstehung des Schadens mitwirkenden Tiergefahr auszugehen. Denn in der Situation, in der der Kläger von dem Hund der Beklagten gebissen wurde, beschränkte sich die Rolle des Hundes des Klägers entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts Jena nicht darauf, ein an der Leine geführter Hund zu sein. Vielmehr fand ein Gerangel und ein Kampf zwischen den Hunden statt, von dem sich der zwischen den Hunden
stehende Kläger nicht entfernen konnte, und in dessen Verlauf er von dem
Hund der Beklagten gebissen wurde. Das Gerangel war eine Interaktion zwischen den beiden Hunden, die ihrer tierischen Natur entsprechend aufeinander eingewirkt haben, bis es schließlich zu der Schädigung des Klägers kam. Damit hat sich in der Bissverletzung die von beiden Hunden ausgehende Tiergefahr adäquat mitursächlich verwirklicht. Für die Begründung der Mithaftung des Klägers als solcher ist nicht von Bedeutung, was Auslöser des Gerangels war und welcher der beiden Hunde in dem Geschehen eine über- oder untergeordnete Rolle einnahm. Diese Umstände können allerdings bei der Bildung der Haftungsquoten von Bedeutung sein.

Eine bei der Entstehung des Schadens mitwirkende Tiergefahr des
Labrador-Mischlings dürfte allerdings dann nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden, wenn die Beklagte dem Kläger nicht nur gemäß § 833 S. 1 BGB, sondern auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet wäre, so der Bundesgerichtshof weiter. Denn gegenüber der Verschuldenshaftung aus § 823 BGB käme der Tiergefahr des Hundes des Klägers dem Sinngehalt des § 840 Abs. 3 BGB entsprechend
keine Bedeutung zu10. Die Tatsache, dass es dem Golden Retriever der Beklagten
gelungen ist, sich durch die Hecke zu zwängen, legt die Frage nahe, ob
die Beklagte fahrlässig die Gesundheit des Klägers verletzt hat, indem sie den
(Fußgänger-)Verkehr vor ihrem Grundstück nicht hinreichend vor den von ihrem Hund ausgehenden Gefahren geschützt hat. Im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte durch eine ausreichende Beaufsichtigung oder eine ausreichend sichere Einzäunung ihres Grundstücks dafür zu sorgen, dass ihr Hund nicht entweichen kann11. Anders
als das Landgericht Erfurt, das der Auffassung des Klägers folgend von einer Pflichtverletzung der Beklagten ausgegangen ist, ist das Oberlandesgericht Jena dieser Frage nicht weiter nachgegangen. Sie ist aber vorrangig zu klären, da sich gegebenenfalls eine anspruchsmindernde Anrechnung der Tiergefahr verbieten würde – so der Bundesgerichtshof.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.05.2016 – VI ZR 465/15

  1. LG Erfurt, Urteil vom 09.09.2014 – 8 O 1517/11 []
  2. OLG Jena, Urteil vom 16.07.2015 – 1 U 652/14 []
  3. BGH, Urteile 05.03.1985
    VI ZR 1/84; vom 27.10.2015 – VI ZR 23/15 []
  4. BGH Urteile vom 06.07.1976 – VI ZR 177/75; vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04; vom 27.01.2015 – VI ZR
    467/13 []
  5. BGH, Urteile vom 06.07.1976 – VI ZR 177/75; vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04; vom 25.03.2014 – VI ZR
    372/13; vom 27.01.2015 – VI ZR 467/13 []
  6. BGH, Urteil vom 25.03.2014 – VI ZR 372/13 []
  7. BGH Urteil vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04 []
  8. BGH, Urteil vom 06.07.1976 – VI ZR 177/75 []
  9. BGH, Urteil vom 05.03.1985 – VI ZR 1/84 []
  10. BGH Urteil vom 27.10.2015 – VI ZR
    23/15 []
  11. BGH, Urteile vom 27.10.2015 – VI ZR 23/15; vom 28.04.1992 – VI ZR 314/91 []

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