Auch das Finanzamt darf die Corona-Soforthilfe nicht pfänden

Wir hatten hier bereits über eine Entscheidung des Landgerichts Köln berichtet, wonach Gläubiger keinen Zugriff auf die an einen Unternehmer oder Solo-Selbständigen ausgezahlte Corona-Soforthilfe haben.

Entsprechendes hat nun das Finanzgericht Münster für die Zwangsvollstreckung durch das Finanzamt entschieden, indme es festegestellt hat, dass eine Kontenpfändung des Finanzamts, die auch Beträge der Corona-Soforthilfe umfasst, rechtswidrig ist.

In dem entschiedenen Fall betreibt der Antragsteller einen Reparaturservice und erzielt heraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie war es dem Antragsteller nicht möglich, Reparaturaufträge zu erhalten. Er beantragte deshalb im Jahr 2020 zur Aufrechterhaltung seines Gewerbebetriebs beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe in Höhe von € 9.000 für Kleinstunternehmer und Soloselbständige, die mit Bescheid vom selben Tag von der Bezirksregierung bewilligt und auf sein Girokonto überwiesen wurde.

Da dieses Konto mit einer im November 2019 vom Finanzamt ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen Umsatzsteuerschulden aus den Jahren 2017 bis 2019 belastet war, verweigerte die Bank die Auszahlung der Corona-Soforthilfe.

Der Antragsteller begehrte deshalb im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die einstweilige Einstellung der Pfändung des Girokontos und hatte beim Finanzgericht Münster hiermit Erfolg.

Der Antragsgegner, das Finanzamt, war der Auffassung, der Antrag sei nicht nur unbegründet, sondern es liege schon kein Rechtsschutzbedürfnis vor. Der Antragsteller hätte zunächst einen Antrag nach § 319 AO i. V. m. § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO bei dem Antragsgegner stellen müssen. Zwar werde die hiernach mögliche abweichende Festsetzung des pfändungsfreien Sockelbetrags durch die entsprechende Anwendung der in § 850k Abs. 4 Satz 2 ZPO genannten Vorschriften eingegrenzt. Jedoch sei diese Eingrenzung nicht abschließend in der Weise, dass nur die dort aufgeführten Einkünfte erfasst sind. Andernfalls könne kein von dieser Norm bezweckter umfassender Vollstreckungsschutz gewährt werden. Für einen solchen Antrag nach § 850k Abs. 4 ZPO seien die notwendigen Betriebsausgaben darzulegen. Erst im Anschluss daran könne eine Entscheidung über die Erhöhung des Freibetrags getroffen werden.

Dies sah das Finanzgericht Münster anders:

Zum Rechtsschutzbedürfnis:

Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster liegt ein Rechtsschutzbedürfnis vor.

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Antrag gemäß § 319 AO i. V. m. § 850k Abs. 4 ZPO ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf einstweilige Anordnung für Zwecke des Vollstreckungsschutzes gemäß § 258 AO entfallen lässt. Denn in der hier zu entscheidenden Sache liegen die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 319 AO i. V. m. § 850k Abs. 4 ZPO nicht vor.

Gemäß § 319 AO gelten Beschränkungen und Verbote, die nach §§ 850 bis 852 ZPO und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß. Der demzufolge sinngemäß geltende § 850k ZPO ermöglicht einem Vollstreckungsschuldner Schuldnerschutz bei Pfändung eines Girokonto-Guthabens durch ein Pfändungsschutzkonto. Das Guthaben ist in der Weise geschützt, dass der Vollstreckungsschuldner jeweils bis zum Ende des Kalendermonats jedenfalls in Höhe des vollen Sockelfreibetrags (§ 850c Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 850c Abs. 2a ZPO) verfügen kann. Der dem Vollstreckungsschuldner zustehende Freibetrag kann gemäß § 850k Abs. 2 f. ZPO erhöht bzw. modifiziert werden. Außerdem kann das Vollstreckungsgericht gemäß § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO einen von § 850k Abs. 1 bis 3 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. Gemäß § 850k Abs. 4 Satz 2 ZPO sind die §§ 850a, 850b, 850c, 850d Abs. 1 und 2 ZPO, die §§ 850e, 850f, 850g und 850i ZPO sowie die §§ 851c und 851d ZPO sowie § 54 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 4 und 5 SGB I, § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII und § 76 EStG entsprechend anzuwenden.

Mit § 850k Abs. 4 ZPO soll sichergestellt werden, dass das Vollstreckungsgericht in den bislang vom Gesetz für den allgemeinen Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen und gleichgestellten Einkünften vorgesehenen Fällen auch bei der Kontopfändung einen anderen pfändungsfreien Betrag – sei es zugunsten des Schuldners durch Erhöhung, sei es auch zugunsten des Gläubigers durch Herabsetzung – festlegen kann1. Mithin ist die Möglichkeit zu einer abweichenden Festsetzung des Freibetrags gemäß § 850k Abs. 4 ZPO auf die in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Beträge beschränkt2. Der Auffassung des Antragsgegners, dass eine abweichende Festsetzung gemäß § 850k Abs. 4 ZPO auch in nicht vom Gesetz vorgesehenen Fällen in Betracht kommt, konnte das Finanzgericht Münster daher nicht folgen.

Der hier streitgegenständliche Billigkeitszuschuss, die Corona-Soforthilfe, wird nicht von den in § 850k Abs. 4 Satz 2 ZPO genannten Beträgen erfasst. Insbesondere handelt es sich bei der Corona-Soforthilfe nicht um sonstige Einkünfte i. S. v. § 850i ZPO. § 850i ZPO ermöglicht Pfändungsschutz für nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige – eigenständig erwirtschaftete – Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind. Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich weder um eine Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste noch um eigenständig erwirtschaftete Einkünfte3.

Gleiches gilt im Ergebnis im Hinblick auf § 309 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 850l ZPO. Danach kann der Vollstreckungsschuldner beim Vollstreckungsgericht beantragen, anzuordnen, dass das Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto für die Dauer von bis zu zwölf Monaten der Pfändung nicht unterworfen ist, wenn der Schuldner nachweist, dass dem Konto in den letzten sechs Monaten vor Antragstellung ganz überwiegend nur unpfändbare Beträge gutgeschrieben worden sind, und er glaubhaft macht, dass auch innerhalb der nächsten zwölf Monate nur ganz überwiegend nicht pfändbare Beträge zu erwarten sind. § 850l ZPO ergänzt § 850k ZPO und die danach unpfändbaren Beträge. Nur unpfändbare Beträge i. S. v. § 850l ZPO können zu erwarten sein, wenn der Schuldner berufsunfähig und eine Besserung seiner gesundheitlichen Beschwerden kurz- oder mittelfristig nicht zu erwarten ist oder er sich als Empfänger nicht pfändbarer Sozialleistungen schon länger erfolglos um einen Arbeitsplatz bemüht hat4. Eine derartige Konstellation steht hier nicht zur Entscheidung.

Begründetheit:

Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster ist nicht nur das Rechtschutzbedürfnis und die Zulässigkeit des Antrages gegeben, sonder er ist auch begründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO setzt voraus, dass ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden, § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Dies ist im Streitfall erfolgt.

Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Vorliegend ergibt sich der erforderliche Anordnungsanspruch aus § 258 AO. Hiernach kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist.

Im Einzelfall ist die Vollstreckung unbillig, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringt, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden kann5.

In der hier zu entscheidenden Sache führen die Vollstreckung und die Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller. Solange der Antragsgegner die Vollstreckung betreibt und der Antragsgegner die Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht aufhebt, zahlt der Drittschuldner, die Bank B, dem Antragsteller nicht den ihm gewährten Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe aus.

Die Corona-Soforthilfe ist an den Antragsteller auszuzahlen. Sie ist eine nicht der Pfändung unterworfene Forderung i. S. d. § 851 Abs. 1 ZPO6. Gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften nur insoweit der Pfändung unterworfen, als sie übertragbar ist. Zweckgebundene Forderungen sind grundsätzlich nicht übertragbar und damit unpfändbar, soweit durch die Abtretung oder Pfändung der Forderung deren Zweckbindung beeinträchtigt wird. Das ist dann nicht der Fall, wenn mit der Abtretung oder Pfändung der vorgegebene Zwecke erreicht wird, wenn also etwa die Pfändung durch den Anlassgläubiger erfolgt7.

In dem vorliegenden Fall wird durch eine Pfändung des Girokonto-Guthabens, das durch den Billigkeitszuschusses in Form der Corona-Soforthilfe erhöht wurde, die Zweckbindung dieses Billigkeitszuschusses beeinträchtigt. Die Corona-Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 01.03.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. Sollte die Corona-Soforthilfe von der Pfändung des Girokonto-Guthabens erfasst sein, könnte ihr Zweck nicht erfüllt werden. Sie dient nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 01.03.2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Im Ergebnis dient die Corona-Soforthilfe somit nicht dem Zweck, die vor dem 01.03.2020 entstandenen Ansprüche des Antragsgegners zu befriedigen.

Der Antragsgegner ist auch kein Anlassgläubiger, der von der Zweckgebundenheit der Corona-Soforthilfe geschützt wäre. Die bewilligte Soforthilfe soll vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Dem jeweiligen Empfänger soll die Entscheidung obliegen, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen. Die Soforthilfe soll für die Deckung der laufenden Betriebskosten des Unternehmens eingesetzt werden. So könnte der Anspruch auf Corona-Soforthilfe etwa zugunsten von aktuellen Vermietern, Leasinggebern oder Lieferanten des Schuldners gepfändet werden. Altgläubiger aus der Zeit vor der Corona-Pandemie – so wie im vorliegenden Fall der Antragsgegner – können auf die Corona-Soforthilfe hingegen nicht im Wege der Forderungspfändung zugreifen3.

Im Übrigen wird in dem Bewilligungsbescheid für die Corona-Soforthilfe auch ein Aufrechnungsverbot ausgesprochen. Hiernach gelte für die bewilligte Soforthilfe ein direktes Verrechnungs- beziehungsweise Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe dürfe es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Allein dem Empfänger bzw. der Empfängerin stehe die Entscheidung zu, welche Forderungen vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollten. Der Sinn und Zweck dieses Aufrechnungsverbots könnte nicht erreicht werden, wenn die bewilligte Corona-Soforthilfe – ohne vorherige Entscheidung des Empfängers bzw. der Empfängerin – zur Befriedigung von Gläubigeransprüchen verwendet werden würde, die vor dem 01.03.2020 und somit nicht im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstanden sind.

Schließlich steht der Unbilligkeit der Vollstreckung auch nicht entgegen, so das Finanzgericht Münster weiter, dass im Rahmen der von dem Antragsteller ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit möglicherweise bereits vor der COVID-19-Pandemie ein Liquiditätsengpass bestanden hat, und durch den Antragsgegner nicht nachvollzogen werden kann, dass die Auftragslage bis zum „Lockdown“ infolge der Corona-Pandemie hervorragend gewesen ist und demzufolge nach Auffassung des Antragsgegners möglicherweise ein Anspruch auf Corona-Soforthilfe nicht bestand. Die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die Corona-Soforthilfe hat und, falls nicht, diese an das Land Nordrhein-Westfalen zurückzuzahlen ist, kann zuvorderst von der diesen Zuschuss bewilligenden Bezirksregierung N geprüft werden. Bezüglich der Finanzverwaltung – und somit auch hinsichtlich des Antragsgegners – ist vorgesehen, dass die Bezieher der Corona-Soforthilfe diese in ihrer Steuererklärung für 2020 als steuerpflichtige Einnahmen erklären. Das zuständige Finanzamt habe so die Möglichkeit, die Plausibilität der Inanspruchnahme im Nachhinein zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund kann sich der Antragsgegner in dem hier zu entscheidenden Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Antragsteller möglicherweise keinen Anspruch auf die Corona-Soforthilfe habe und demzufolge im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geprüft werden soll, ob dem Antragsteller diese Hilfe auch wirklich zugestanden hat. Die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Corona-Soforthilfe ist im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 258 AO nicht entscheidungserheblich. Der Frage, ob nach den Erkenntnissen des Antragsgegners gegebenenfalls ein strafrechtlicher Anfangsverdacht wegen Falschangaben im Antragsverfahren, die den Tatbestand eines Subventionsbetrugs (§ 264 Strafgesetzbuch) erfüllen, besteht, kann das Finanzgericht Münster im vorliegenden Verfahren daher nicht weiter nachgehen. Maßgeblich ist vorliegend der Umstand, dass die Corona-Soforthilfe aufgrund ihrer Zweckbindung und dem flankierenden Aufrechnungsverbot nicht der Befriedigung von – bereits vor der Corona-Pandemie geltend gemachten – Steueransprüchen des Fiskus dient. Daher kann der Antragsgegner die zweckgebundene Corona-Soforthilfe nicht im Wege der Vollstreckung und der Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung für sich beanspruchen und mit diesem Zuschuss die Rückstände aus den Umsatzsteuerschulden gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen befriedigen.

Weiter liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn die Vollstreckung mit schwerwiegenden Nachteilen für den Vollstreckungsschuldner verbunden ist, z. B. seine persönliche oder wirtschaftliche Existenz dadurch bedroht wird8. Begehrt der Antragsteller die Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen unter Hinweis auf § 258 AO, besteht ein Anordnungsgrund regelmäßig nur bei außergewöhnlichen Umständen, z. B. einer drohenden Existenzvernichtung oder konkreter und unmittelbarer Gesundheitsgefährdungen9. Diese Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind10.

Hierzu hat der Antragsteller geltend gemacht, dass durch die drohende Vollstreckung und die daraus resultierende Sperre gegen die Auszahlung der Corona-Soforthilfe die Existenz seines Geschäftsbetriebs bedroht ist. Ohne die bewilligte Corona-Soforthilfe könne er die laufenden Kosten (Miete, Strom, Fahrzeugkosten und andere laufende Betriebskosten) nicht decken.

Einer weiteren Glaubhaftmachung der einzelnen Kostenpositionen zur Glaubhaftmachung bedarf es im Streitfall nicht. Der Umstand, dass der Antragsteller etwaige laufende Kosten des Geschäftsbetriebs ohne Zugriff auf die Corona-Soforthilfe nicht befriedigen kann, ist unstreitig.

Dies entspricht auch den in dem Bewilligungsbescheid aufgeführten Nebenbestimmungen. Hiernach soll der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe unter Zuhilfenahme eines Vordrucks im Internet auf https://soforthilfe-corona.nrw.de bei dem zuständigen Finanzamt erfolgen und der nächsten Steuererklärung beigefügt werden. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung findet sich auf der angegebenen Internetseite kein Vordruck für einen Verwendungsnachweis. Demzufolge ist es für den Antragsteller zu diesem Zeitpunkt faktisch unmöglich, die Verwendung der Corona-Soforthilfe in einer den Anforderungen der bewilligenden Bezirksregierung N entsprechenden Art und Weise zu erbringen. Im Übrigen weist die Internetseite des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen zur NRW-Soforthilfe 2020 zum Entscheidungszeitpunkt auf die Frage „Muss nachgewiesen werden wofür der Zuschuss eingesetzt wird?“ die Antwort aus: „Am Ende des Bewilligungszeitraums werden alle Soforthilfeempfänger angeschrieben und gebeten, zu überprüfen, ob eine Überkompensation vorgelegen hat. Der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe erfolgt unter Zuhilfenahme eines Vordrucks, den alle Zuschussempfänger in einem gesonderten Schreiben (inkl. Ausfüll-Anleitung) rechtzeitig erhalten. Dazugehörige Unterlagen sind 10 Jahre lang aufzubewahren.“ (https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020; zum Zeitpunkt der Antragstellung und Bewilligung – 27.03.2020 – lautete die Antwort noch: „Nein, ein solcher Nachweis muss nicht erbracht werden.“). Vor diesem Hintergrund erscheint es erst recht im einstweiligen Rechtsschutz nicht verhältnismäßig, dem Antragsteller vor Ende des Bewilligungszeitraums – hier der 27.06.2020 – eine Nachweispflicht hinsichtlich der Zuschussverwendung aufzuerlegen.

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes war daher aufzuheben, da nur so die hierdurch vom Antragsgegner geltend gemachten Rückstände nicht mehr einer Auszahlung der auf das Pfändungsschutzkonto des Antragstellers überwiesenen Corona-Soforthilfe entgegenstehen. Im Übrigen ist die Vollstreckung bis zum 27.06.2020 einstweilen einzustellen, da die Corona-Soforthilfe mit Bescheid vom 27.03.2020 für einen Zeitraum von drei Monaten bewilligt wurde.

Eine rangwahrende Beschränkung der Vollstreckung im Sinne einer Freigabe des Kontos in Höhe der ausgezahlten Corona-Soforthilfe kommt im Rahmen der Pfändung von Geldforderungen i. S. v. § 309 Abs. 1 AO nicht in Betracht. Der Umstand, dass das Finanzamt durch die Aufhebung der Pfändung den Rang gegenüber anderen Pfandrechtsgläubigern verliert, ist der gesetzlichen Konzeption immanent11, so das Finanzgericht Münster.

Soweit hierdurch eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgt, ist dies erforderlich, um unbillige, unzumutbare Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden und effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Im Übrigen liegt eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes vor. Die sofortige Einstellung der Vollstreckung ist notwendig, da eine Entscheidung in der Hauptsache zu spät kommen würde, um mit der Corona-Soforthilfe die unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe zu kompensieren.

Finanzgericht Münster, Beschluss vom 13.05.2020 – 1 V 1286/20 AO
ECLI:DE:FGMS:2020:0513.1V1286.20AO.00

  1. BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 850k Rn. 28 []
  2. LG Köln, Beschluss vom 23.04.2020 – 39 T 57/20, bei uns hier []
  3. LG Köln, Beschluss vom 23.04.2020 – 39 T 57/20, bei uns hier [] []
  4. vgl. dazu Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 850l ZPO, Rn. 4b []
  5. BF, Beschluss vom 15.01.2003 – V S 17/02, BFH/NV 2003, 738 []
  6. so auch ausdrücklich BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 851 Rn. 10 []
  7. BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 851 Rn. 9 []
  8. BFH, Beschluss vom 15.01.2003 – V S 17/02, BFH/NV 2003, 738 []
  9. FG des Saarlandes, Beschluss vom 03.02.2006 – 2 V 44/06, EFG 2006, 546; FG Köln, Beschluss vom 01.02.2018 – 11 V 3169/17 []
  10. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 159. Lieferung 01.2020, § 114 FGO, Rn. 29 []
  11. BFH, Urteil vom 16.05.2017 – VII R 5/16, BFHE 258, 105, BStBl. II 2018, 735 []

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