Keine drittschützende Wirkung der Gemeindeordnung bei Festlegung des Hebesatzes

In einer aktuellen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Frankfurt /Main festgestellt, dass der einzelne Gemeindebürger bzw. Steuerzahler sich nicht auf die Nichteinhaltung der Vorschrift des § 93 Abs. 2 HGO berufen kann, denn der Vorschrift kommt insoweit keine drittschützende Wirkung gegenüber den Gemeindebürgern zu. Die gegenüber der Allgemeinheit bestehende Verpflichtung der Gemeinden, bei der Erhebung kommunaler Steuern die Rangfolge der Deckungsmittel zu beachten, verleiht dem einzelnen Bürger kein individuelles, einklagbares Recht auf Einhaltung dieses Grundsatzes.

In dem konkreten Fall ist der Kläger Eigentümer eines Grundstücks im Stadtgebiet der Beklagten. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut. Mit Bescheid des Finanzamts vom 06.09.1990 wurde der Grundsteuermessbetrag B für das Grundstück auf 189,02 DM festgesetzt. Dies entspricht 96,64 Euro. Am 15.12.2011 erhöhte die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten für den Zeitraum ab dem 01.01.2012 den Hebesatz der Grundsteuer B von 240% auf 345%. Mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 15.03.2012 verpflichtete die Beklagte den Kläger für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2012 zur Entrichtung der Grundsteuer B in Höhe von 333,41 Euro. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 07.04.2012 mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Haushaltssatzung der Beklagten und der auf ihrer Grundlage ergangene Bescheid rechtswidrig seien, weil die Beklagte vor einer Erhebung von Steuern verpflichtet sei, die Möglichkeiten der Erhebung von Beiträgen soweit vertretbar auszuschöpfen. Dies ergebe sich aus § 93 Abs. 2 HGO.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt /Main über die Klage des Grundstückseigentümers gegen den Bescheid zu entscheiden.

Die zulässige Klage ist aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichts unbegründet, denn der angefochtene Bescheid des Magistrats der Stadt Bad Homburg vom 15.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2013 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Grundsteuerbescheids ist § 7 Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 GrStG. Nach § 7 Abs. 1 KAG erheben die Gemeinden Steuern nach Maßgabe der Gesetze. Nach § 1 Abs. 1 GrStG bestimmt die Gemeinde, ob von dem in ihrem Gebiet liegenden Grundbesitz Grundsteuer zu erheben ist. Nach § 2 GrStG ist Steuergegenstand der Grundbesitz im Sinne des Bewertungsgesetzes. Steuerschuldner ist gemäß § 10 Abs. 1 GrStG derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Einheitswertes zugerechnet ist. Nach § 25 Abs. 1 GrStG bestimmt die Gemeinde, mit welchem Hundertsatz des Steuermessbetrags oder des Zerlegungsanteils die Grundsteuer zu erheben ist (Hebesatz). Nach § 27 Abs. 1 GrStG wird die Grundsteuer für das Kalenderjahr festgesetzt. Ist der Hebesatz für mehr als ein Kalenderjahr festgesetzt, kann auch die jährlich zu erhebende Grundsteuer für die einzelnen Kalenderjahre dieses Zeitraums festgesetzt werden.

Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Vorschriften ist der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Dies betrifft insbesondere die Festsetzung des Hebesatzes für die Grundsteuer B. Diese Festsetzung liegt im weiten, pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, das vom Gericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Grenzen für die Normsetzung überschritten wurden oder die Steuererhebung willkürlich, d. h. evident unsachlich ist. Außerdem darf der Steuer keine nicht mehr hinnehmbare erdrosselnde Wirkung zukommen. Diese Grenzen bei der Festsetzung des Hebesatzes hat die Beklagte nicht überschritten. Dies wird auch von dem Kläger im Grunde genommen nicht in Abrede gestellt.

Ob die Beklagte mit der Erhebung der Grundsteuer B gegen die Vorschrift des § 93 Abs. 2 HGO verstoßen hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Nach § 93 Abs. 2 HGO hat die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen und im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen. Bei diesem gesetzlichen Grundsatz handelt es sich zwar um zwingendes Recht und nicht bloß um einen Programmsatz. Allerdings kann sich der einzelne Gemeindebürger bzw. Steuerzahler nicht auf die Nichteinhaltung der Vorschrift des § 93 Abs. 2 HGO berufen, denn der Vorschrift kommt insoweit keine drittschützende Wirkung gegenüber den Gemeindebürgern zu. Die gegenüber der Allgemeinheit bestehende Verpflichtung der Gemeinden, bei der Erhebung kommunaler Steuern die Rangfolge der Deckungsmittel zu beachten, verleiht dem einzelnen Bürger kein individuelles, einklagbares Recht auf Einhaltung dieses Grundsatzes1. Eine Gemeinde hat eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, in welchem Ausmaß und in welcher Höhe die speziellen Entgelte im Rahmen des wirtschaftlich Gebotenen und sozial Vertretbaren festzusetzen sind. Es ist jeder einzelnen Gemeinde im Rahmen ihrer Finanzautonomie überlassen, inwieweit sie in dem ihr durch die Haushaltsgrundsätze gesteckten äußersten rechtlichen Rahmen von den Einnahmequellen Gebrauch macht. In diese eigenverantwortliche Entscheidung der Gemeinde würde eingegriffen, wenn dem einzelnen Gemeindebürger das Recht eingeräumt würde, seine subjektiven Vorstellungen, die sich je nach Betroffenheit von den Ansichten anderer Gemeindebürger unterscheiden dürften, einzuklagen. Es ist nicht Sache der Gemeindebürger, die Einhaltung der Haushaltsgrundsätze durch die Gemeinde zu überwachen und je nach dem Ergebnis ihrer eigenen Einschätzung die Höhe von Gemeindesteuern für angemessen oder unangemessen zu halten. Dies ist ggf. Sache der Aufsichtsbehörden.

Auch die in § 93 Abs. 2 HGO verwendete Formulierung, wonach die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben „erforderlichen“ Erträge und Einzahlungen zu beschaffen hat, bringt nur den allgemeinen Grundsatz der Kostendeckung zum Ausdruck und begründet keine subjektive Rechtsposition dergestalt, dass sich der einzelne Steuerschuldner auf eine rechtswidrige oder unwirtschaftliche Aufgabenerfüllung berufen und insoweit seinen finanziellen Beitrag „mangels Erforderlichkeit“ verweigern könnte2.

Darüber hinaus würde eine Auslegung der Regelung des § 93 Abs. 2 HGO dahingehend, dass eine Erhebung von Grundsteuern oder eine Festsetzung eines bestimmten Hebesatzes erst dann rechtlich zulässig sei, wenn die zur Haushaltsdeckung erforderlichen Einnahmen nicht durch Gebühren und Beiträge erzielt werden können, gegen Bundesrecht verstoßen.

Die Grundsteuer unterliegt, wie die Gewerbesteuer, als Realsteuer der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG). Artikel 106 Abs. 6 S. 2 GG verpflichtet den die Grundsteuer regelnden Gesetzgeber, die Gemeinden zur Festsetzung der Hebesätze zu ermächtigen. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer in Anspruch genommen und in Erfüllung des grundgesetzlichen Regelungsauftrages in § 25 Abs. 1 GrStG den Gemeinden das Recht zur Festsetzung der Hebesätze eingeräumt. Eine Einschränkung dieses Hebesatzrechts und des grundsätzlichen Rechts zur Erhebung der Grundsteuer in § 1 Abs. 1 GrStG bedarf einer bundesrechtlichen Grundlage (Art. 72 GG). Das den Gemeinden unter Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bundesrechtlich eingeräumte Recht zur Erhebung der Grundsteuer und zur Festlegung des Hebesatzes kann mithin nur durch den Bundesgesetzgeber selbst oder mit seiner Ermächtigung landesrechtlich eingeschränkt werden.

Das wird durch § 26 GrStG, der inhaltlich § 16 Abs. 5 des Gewerbesteuergesetzes entspricht, bestätigt, der eine solche Ermächtigung enthält. Nach dieser Vorschrift bleibt dem Landesrecht lediglich vorbehalten zu regeln, in welchem Verhältnis die Hebesätze für die Grundsteuer A und B und für die Gewerbesteuer zueinander stehen müssen (Koppelungsvorschriften), welche Höchstsätze nicht überschritten werden dürfen und inwieweit mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde Ausnahmen zugelassen werden können. Diese gegenständlich begrenzte abschließende bundesrechtliche Ermächtigung schließt es aus, § 93 Abs. 2 HGO dahingehend zu verstehen, dass dadurch eine irgendwie geartete Einschränkung des Rechts zur Erhebung der Grundsteuer oder zur Festsetzung der Hebesätze abzuleiten wäre. In welchem Ausmaß die Gemeinden zur Deckung ihres Finanzbedarfs aus den ihnen zur Verfügung stehenden Steuerquellen schöpfen, bleibt vielmehr ihrem Ermessen überlassen3.

Zwar ist dieses Urteil in einem Fall ergangen, in dem über die Erhebung der Gewerbesteuer gestritten wurde. Allerdings unterscheiden sich Gewerbesteuer und Grundsteuer kompetenzrechtlich nicht. Die vom Bundesverwaltungsgericht für die Erhebung der Grundsteuer und die Festsetzung der entsprechenden Hebesätze entwickelten Grundsätze gelten deshalb entsprechend für die Grundsteuer.

Diese Grundsätze lassen es auch zweifelhaft erscheinen, ob den kommunalaufsichtsrechtlichen Instanzen eine Befugnis zustehen kann, die Art und Weise der Erhebung der Grund- und Gewerbesteuer durch die Gemeinden zu prüfen oder zu beanstanden. Dies kann vorliegend allerdings dahinstehen, da eine solche Kompetenz jedenfalls nicht zur Folge haben könnte, dass dem Steuerpflichtigen unmittelbar eine entsprechende Rechtsposition vermittelt würde.

Verwaltungsgericht Frankfurt / Main, Urteil vom 06.03.2014 – 6 K 1210/13

  1. BayVGH, Beschlüsse vom 01.02.2007 – 4 ZB 06.2567; vom 20.10.2011 – 4 ZB 11.1187; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil vom 23.05.2012 – 1 K 1101/11 []
  2. BayVGH, Beschluss vom 20.10.2011 – 4 ZB 11.1187 []
  3. BVerwG, Urteil vom 11.06.1993 – 8 C 32/90 []

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