Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, wenn ein Betriebsratsmitglied einen dunkelhäutigen Kollegen im Rahmen einer Diskussion mit „Ugah, Ugah“ betitelt.
Nachdem die Arbeitsgerichte die Kündigung gehalten hatten, hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen und in seiner Begründung deutlich gemacht, dass die Menschenwürde über der Meinungsfreiheit steht.
Was war passiert?
Der Beschwerdeführer war Betriebsratsmitglied. In einer ordentlichen Betriebsratssitzung betitelte er ein weiteres Betriebsratsmitglied im Rahmen einer Auseinandersetzung über den Umgang mit einem EDV-System mit den Worten „Ugah, Ugah“, während der Angesprochene ihn als „Stricher“ bezeichnete. Unter anderem aufgrund dieses Vorfalls erhielt der Beschwerdeführer die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Hiergegen ging er gerichtlich vor.
Die Gerichte für Arbeitssachen erachteten nach umfänglicher Beweisaufnahme die Kündigung auch aufgrund einer einschlägigen vorhergehenden Abmahnung als rechtmäßig.
Das Arbeitsgericht Köln stellte darauf ab, dass grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen eine erhebliche Pflichtverletzung seien, die als wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB zur Kündigung berechtigen würden1. Das ergebe sich schon aus den Wertungen in §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG. Die Äußerung sei eine grobe, wegen der ethnischen Herkunft diskriminierende Beleidigung, die nach der Beweisaufnahme zwar in einem Wortwechsel, aber nicht selbst in Reaktion auf „Du Stricher“ erfolgte. Die Gesamtwürdigung auch einer wirkungslosen Abmahnung in der Vergangenheit mache die Weiterbeschäftigung angesichts fortgesetzter Beleidigung von Kollegen unzumutbar. Der Arbeitgeber habe eine Fürsorgepflicht, diese vor Diskriminierung zu schützen.
Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich dem im Ergebnis angeschlossen. Die Äußerung sei als rassistische Beleidigung schon „für sich“ ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG beziehungsweise § 626 BGB2. Gegenüber einem dunkelhäutigen Kollegen sei sie als Offenbarung eines Rassisten zu verstehen. Auch ausweislich der vorangegangenen Konflikte im Betrieb liege darin keine Entgleisung oder ein Irrtum, sondern wissend und ohne Reue Ausdruck einer Grundhaltung. Daher sei die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar gewesen.
Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, dass die Gerichte sein Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzten, indem sie die Kündigung für rechtmäßig erachteten. Sie hätten seine Grundrechte gegenüber dem Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin nicht abgewogen. Die Arbeitsgerichte dürften ihm keine rassistische Grundeinstellung vorwerfen und ihn als Rassisten betiteln. Die Unschuldsvermutung sei nicht beachtet worden. Strafrechtliche Verurteilungen wegen der Äußerung hätte es nicht gegeben. Die ihm gegenüber von dem Betriebsratskollegen getätigte Äußerung „Du Stricher“ sei sanktionslos geblieben.
Die Entscheidung:
Das Bundesverfassungsgericht hält die Verfassungsbeschwerde nicht nur für unzulässig, sondern, was viel interessanter ist, für unbegründet:
Insbesondere verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, indem die Äußerung des Beschwerdeführers als Grund für eine Kündigung gewertet worden ist.
Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ist Aufgabe der Arbeitsgerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie dem Einfluss der Grundrechte auf die anwendbaren gesetzlichen Vorschriften Rechnung zu tragen3.
Insofern sind die angegriffenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so das Bundesverfasungsgericht. Die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG4 sowie Art. 1 beziehungsweise Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden Wertungen haben die Gerichte nicht verkannt.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt das Recht, die eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind, ungeachtet des womöglich ehrschmälernden, polemischen oder verletzenden Gehalts einer Äußerung5. Damit liegt in der arbeitsgerichtlichen Bestätigung einer Kündigung, die sich auf eine solche Aussage stützt, eine Beeinträchtigung dieser Freiheit.
Diese Beeinträchtigung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehören auch die arbeitsrechtlichen Vorschriften, auf die sich die angegriffenen Entscheidungen stützen6.
Stützt sich eine Kündigung wesentlich auf eine Äußerung, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung ihres Sinns7. Diese ist hier erfolgt. Die Arbeitsgerichte haben sich dabei auch ausführlich mit den Deutungsangeboten des Beschwerdeführers befasst. Zutreffend haben sie allerdings die konkrete Situation als maßgeblich angesehen, in der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe direkt mit der Nachahmung von Affenlauten adressiert wird. Der Schluss, dass es sich aufgrund der Verbindung zu einem nach § 1 AGG verpönten Merkmal nicht nur um eine derbe Beleidigung handele, sondern die Äußerung fundamental herabwürdigend sei, ist auch im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der sich gegen rassistische Diskriminierung wendet, nicht zu beanstanden.
Sodann erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen8. Nur ausnahmsweise tritt die Meinungsfreiheit bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde anderer antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf9. An diese Ausnahmefälle sind aber jeweils strenge Kriterien anzulegen und ihr Vorliegen ist ausführlich zu begründen4.
Eine Schmähung oder Schmähkritik liegt nur vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik ist noch keine Schmähung, denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt ausfallen. Entscheidend ist, dass sie letztlich nur die Person gravierend verletzt4.
Ähnlich eng ist die Formalbeleidigung im verfassungsrechtlichen Sinn zu verstehen, so das Bundesverfassungsgericht weiter. Sie liegt etwa in mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern10. Entscheidend ist die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit. Wer Personen mit solchen Begriffen bezeichnet, bedient sich gerade ihrer Funktion, verächtlich zu machen, um einen Menschen unabhängig von sachlichen Anliegen herabzusetzen4.
Die weitere eng zu verstehende Ausnahme vom Abwägungsgebot ist eine Äußerung, mit der die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar geschützte Menschenwürde verletzt wird. Da die Menschenwürde mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist, muss die Meinungsfreiheit dann stets zurücktreten. Auch das bedarf einer sorgfältigen Begründung. Es kommt nur in Betracht, wenn einer konkreten Person der ihre menschliche Würde ausmachende Kern der Persönlichkeit abgesprochen wird.
Hinreichend begründet können Gerichte in diesen Ausnahmefällen auf eine Abwägung der Meinungsfreiheit mit anderen Rechten verzichten. Im Regelfall ist die Abwägung aber geboten und liegt auch in vielfach nicht eindeutig gelagerten Grenzfällen nahe. Sie knüpft an wertungsoffene Tatbestandsmerkmale des Fachrechts an und muss sich umfassend mit den konkreten Umständen auseinandersetzen, also in der Regel Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten berücksichtigen.
Auch diese grundrechtlichen Wertungen haben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Anwendung des Kündigungsschutzrechts nicht verkannt, so das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung. Sie stützen sich auf die Regelungen der §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG, in denen die verfassungsrechtlichen Wertungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots ihren Niederschlag finden, hinter denen die Meinungsfreiheit zurücktritt.
Die Urteile legen ausführlich dar, so das Bundesverfassungsgericht, dass die Äußerung „Ugah, Ugah“ gegenüber einem dunkelhäutigen Kollegen für sich genommen einen Charakter hat, der die dem Beschwerdeführer auch im Betrieb zustehende Meinungsfreiheit zurücktreten lässt. Dabei haben sich die Arbeitsgerichte nicht ausdrücklich festgelegt, ob sie dies als Schmähung, Formalbeleidigung oder Verletzung der Menschenwürde ansehen. Sie begründen aber ausführlich, dass es sich um menschenverachtende Diskriminierung handelt. Eine solche lässt sich unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen. Das ergibt sich daraus, dass die Menschenwürde entgegen Art. 1 Abs. 1 GG angetastet wird, wenn eine Person nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird, und damit das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich normierte Recht auf Anerkennung als Gleiche unabhängig von der „Rasse“ verletzt wird. Das Arbeitsgericht führt aus, dass die Äußerung „regelmäßig als grobe, wegen der ethnischen Herkunft diskriminierende Beleidigung aufzufassen“ sei, was sie verfassungsrechtlich zur Formalbeleidigung macht. Im Vergleich mit einer Situation im Fußball, wo dieselbe Äußerung die Leistung eines prominenten hellhäutigen, „weißen“ Spielers kommentierte, hat das Landesarbeitsgericht zudem klargestellt, dass die konkrete Situation einer Auseinandersetzung im Betriebsrat mit einem dunkelhäutigen Kollegen entscheidende Bedeutung dafür hat, dass hier die Herabwürdigung der Person im Vordergrund stand, was verfassungsrechtlich als Schmähkritik zu werten wäre.
Die Arbeitsgerichte haben sodann die im Fall der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geforderte Gesamtwürdigung vorgenommen, die verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, so das Bundesverfassungsgericht. Sie stützen sich auf eine umfängliche Beweisaufnahme. Kündigungsrechtlich konnte die Äußerung unabhängig vom Strafrecht bewertet werden11. Zudem wurde berücksichtigt, dass dem Beschwerdeführer die Bedeutung seiner Äußerungen ausweislich vorheriger Auseinandersetzungen im Betrieb bekannt war, er auf eine frühere Abmahnung keinerlei Einsicht zeigte oder sich etwa entschuldigt hätte. Dazu kommt der Verweis auf die Pflicht des Arbeitgebers aus § 3 Abs. 3, § 12 Abs. 3 AGG und § 75 Abs. 1 BetrVG, sein Personal vor rassistischen Anfeindungen zu schützen, die wiederum das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausgestalten.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.11.2020 – 1 BvR 2727/19
- ArbG Köln, Urteil vom 09.11.2018 – 18 Ca 7824/17 [↩]
- LAG Köln, Urteil vom 06.06.2019 – 4 Sa 18/19 [↩]
- BVerfGE 7, 198, 208; 85, 1, 13; 148, 267 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 [↩] [↩] [↩] [↩]
- BVerfGE 54, 129, 138 [↩]
- zu § 74 Abs. 2 BetrVG 72 bereits BVerfGE 42, 133, 140 [↩]
- BVerfGE 93, 266, 295 [↩]
- BVerfGE 7, 198, 212; 85, 1, 16; 93, 266, 293 [↩]
- BVerfGE 82, 43, 51; 85, 1, 16; 90, 241, 248; 93, 266, 293; 99, 185. 196 [↩]
- BVerfGE 82, 43, 51; 93, 266, 294; BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 [↩]
- BAG, Urteil vom 01.07.1999 – 2 AZR 676/98 [↩]