Bei der Einfuhr von Waren kommt es in finanzieller Hinsicht natürlich immer darauf an, wie die Einfuhrabgaben berechnet werden. Grundlage hierfür ist der Zollkodex der Europäischen Union mit seinen Durchführungsvorschriften.
Dort muss man ganz genau schauen, wie die einzuführende Ware einzureihen ist.
Das Finanzgericht Hamburg hatte nun über die Tarifierung von verschiedenen Elektrostimulationsgeräten zu entscheiden.
Worum ging es?
Die Klägerin führt Elektrostimulations- bzw. Reizstromgeräte aus China ein und beantragte 2011 beim Beklagten die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für das EMS/TENS-Gerät A. Hierbei handelt es sich um ein handliches elektronisches Gerät, in dessen oberer Hälfte ein Display eingebaut ist und das über die sich darunter befindenden Knöpfe gesteuert wird. Es wird geliefert mit vier Klebeelektroden, die auf die menschliche Haut aufzukleben sind und über zwei Anschlusskabel mit dem Gerät verbunden werden. Das Gerät sendet bei Inbetriebnahme elektronische Impulse über die Elektroden an den menschlichen Körper. Zum Lieferumfang gehören ein Gürtelclip, drei Batterien und eine Gebrauchsanweisung, auf welche wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Die Klägerin gab in ihrem Antrag an, dass es sich um ein medizinisches Gerät zur Nervenreizung handele, das der Behandlung von Schmerzzuständen und Muskelverspannungen diene. Es besitze zwei getrennt regelbare Stimulationskanäle und ähnele dem Vorgängergerät B. Sie schlug eine Einreihung in die Unterposition 9018 9075 KN vor.
Mit vZTA vom 20. September 2012 reihte der Beklagte das Gerät in die TARIC-Unterposition 8543 7090 99 ein. Es liege ein Reizstromgerät vor, bestehend aus einem batteriebetriebenen Impulsgenerator in einem spezifisch geformten Kunststoffgehäuse mit Batteriefach und Bedienelementen zum Einstellen der Programme und einem Display, vier Klebeelektroden mit Druckknopf und zwei Verbindungskabeln zum Anschluss an den Impulsgenerator. Das Reizstromgerät erzeuge elektrische Impulse zur Übertragung auf Muskel- und Nervenpartien, sowohl zur Muskelstimulation (EMS) (Hauptfunktion) als auch zur Stimulierung der Nervenbahnen (TENS). Geliefert werde es in gemeinsamer Verpackung mit einem Gürtelclip und Batterien. Es sei einzureihen als „elektrisches Gerät mit eigener Funktion, in Kapitel 85 anderweit weder genannt noch inbegriffen (Multifunktionsgerät zur Verwendung von Muskelstimulation (Hauptfunktion) und als medizinisches Gerät, noch nicht zusammengesetzt, in Warenzusammenstellung mit nicht charakterbestimmendem Beipack); Reizstromgerät“.
Im Jahr 2011 beantragte die Klägerin zudem die Erteilung einer vZTA für das Nachfolgemodell C, das sich nicht wesentlich von dem A unterscheidet. Dieses Gerät reihte der Beklagte mit vZTA vom 20. September 2012 mit gleichlautender Begründung ebenfalls in die TARIC-Unterposition 8543 7090 99 ein.
Gegen beide vZTAe legte die Klägerin am 27. September 2012 Einspruch ein und verwies darauf, dass sie u.a. für das vergleichbare Gerät B im Mai 2009 eine vZTA erhalten habe, in der dieses Gerät in die TARIC-Unterposition 9018 9075 00 eingereiht worden sei.
Der Beklagte verteidigte daraufhin seine Einreihungsentscheidung. Die streitgegenständlichen Geräte dienten je nach Wahl der Programme der elektrischen Stimulation von Nervenbahnen (TENS = Transkutane elektrische Nervenstimulation), der Stimulation von Muskelgewebe (EMS = elektrische Muskelstimulation) oder der Elektromassage. Bei beiden Geräten sei die überwiegende Anzahl an Programmen für EMS-Anwendungen vorgesehen. Jeweils 30 von 50 Programmen seien für EMS- und lediglich 10 von 50 Programmen für die TENS-Anwendung vorgesehen. Bei den übrigen 10 Programmen handele es sich jeweils um Massageprogramme. Geräte zur TENS-Anwendung, die zur Schmerzbehandlung durch Stimulation der Nervenbahnen dienten, seien als medizinische Geräte in die Position 9018 KN einzureihen. Die EMS-Geräte (und Geräte für Elektromassage) seien, da sie nicht zu medizinischen Zwecken, sondern für den Muskelaufbau zu Trainingszwecken oder für kosmetisch-ästhetische Behandlungen dienten, als elektrische Geräte mit eigener Funktion in die Position 8543 KN einzureihen. Letzteres folge auch aus der Verordnung (EG) Nr. 1386/2003 der Kommission vom 1. August 2003 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur1, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1179/2009 der Kommission vom 26. November 2009 zur Änderung oder Aufhebung bestimmter Verordnungen zur Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur2. Beide streitgegenständlichen Geräte verfügten über TENS- und EMS-Programme. Sie wiesen daher sowohl von der Position 8543 KN als auch von der Position 9018 KN erfasste Funktionen auf und seien als Multifunktionsgeräte i.S.d. Anmerkung 3 zu Kapitel 90 KN i.V.m. der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN nach der das Ganze kennzeichnenden Hauptfunktion einzureihen. In beiden Fällen stände die medizinische Verwendung der betroffenen Geräte aufgrund ihrer umfangreichen EMS-Anwendungsprogramme und lediglich geringen Zahl an TENS-Programmen im Hintergrund, so dass die Einreihung nach der kennzeichnenden Hauptfunktion „Muskelstimulation“ in die Position 8543 KN erfolge. Etwaige früher erteilte vZTAe, die mit dieser Rechtsauffassung nicht übereinstimmten, seien mittlerweile widerrufen.
Die Klägerin erwiderte hierauf, dass die Ermittlung der Hauptfunktion anhand eines Vergleiches der Programmanzahl keine sinnvolle Methode darstelle. Vollwertige hochpreisige Geräte zur TENS anderer Hersteller wiesen ebenfalls nicht mehr als 10 Programme auf und erfüllten alle Anforderungen im Hinblick auf diese Therapieform. Der Umstand, dass im nicht-medizinischen Anwendungsbereich des Geräts zahlmäßig höhere Anwendungsvarianten vorhanden seien, ändere nichts daran, dass beide Anwendungsbereiche gleichwertig nebeneinander ständen. Im Übrigen seien die Produkte zugelassene Medizinprodukte und fielen bereits deshalb unter die allgemeine Beschreibung des Abschnitts XVIII KN. Die Unterposition 9018 9075 KN „Apparate und Geräte zur Nervenreizung“ beschreibe exakt die streitgegenständlichen Produkte. Die hohe Anzahl von verschiedenen EMS-Programmen sei aufgrund der individuell sehr unterschiedlich ausgebildeten Muskulatur der Anwender erforderlich. Die TENS-Funktion erfordere diese Vielzahl nicht, weil dieses Verfahren auf einer anderen Wirkungsweise beruhe. Beide Funktionen, TENS und EMS, also Nervenreizung und Muskelreizung könnten zudem nicht exakt voneinander getrennt werden. Die Trennung gebe es nur, um den Nutzern eine schnellere Programmwahl zu ermöglichen. Es gebe zwar Frequenzen und Stimulationsparameter, die eine überwiegende Nervenreizung begünstigten, ab einer bestimmten Stromstärke würden aber automatisch auch immer Muskeln mit kontrahiert. Jedes Programm reize zuerst Nerven, da diese bereits für geringe Stromstärken empfänglich seien. Um einen Muskel mitzukontrahieren, seien größere Stromstärken notwendig. Die Muskelstimulation funktioniere über Nervenreizungen. Mithin sei jedes TENS- und jedes EMS-Gerät ein „Gerät zur Nervenreizung“ i. S. d. Unterposition 9018 9075 KN. Wegen des weiteren Vorbringens zum Aufbau von Muskeln, ihrer Verbindung mit dem Nervensystem und ihrer Reaktion auf Stromreize wird auf den Schriftsatz vom 17. Januar 2014 verwiesen.
Hierauf erwiderte der Beklagte, dass es für die zolltarifliche Einreihung nicht relevant sei, ob ein Gerät als Medizinprodukt zugelassen sei. Das Medizinproduktegesetz verfolge den Zweck, für die Sicherheit, Eignung und Leistung von Medizinprodukten sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter zu sorgen. Nicht allein die Ausstattung der Geräte mit vielen differenzierten Programmen zum Muskeltraining, der eine erheblich geringere Anzahl von Programmen für TENS-Anwendungen gegenüberstehe, führe zu einer Einreihung in die Unterposition 8543 7090 KN, sondern die Tatsache, dass die streitgegenständlichen Produkte auch für weitere nicht-medizinische Anwendungen als sog. Elektromassagegeräte vorgesehen seien. Somit seien die Geräte erkennbar überwiegend auf nicht-medizinische Anwendungen ausgelegt (kennzeichnende Haupttätigkeit) und würden nach der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN i.V.m. der Anmerkung 3 zu Kapitel 90 KN in die Unterposition 8543 7090 KN eingereiht. Schließlich werde die Tatsache, dass sowohl Muskelkontraktionen als auch die TENS-Schmerztherapie jeweils durch die elektrische Reizung von Nerven bewirkt würden, nicht bestritten. Je nach Anwendung würden jedoch vorzugsweise unterschiedliche Arten von Nervenfasern gereizt. Bei der TENS-Behandlung würden afferente (sensible), schnellleitende, also mit Myelinscheide versehene Nervenfasern gereizt, die im Hinterhorn des Rückenmarks eine Hemmung der Schmerzempfindungsweiterleitung bewirkten, die durch langsamere Nervenfasern übertragen werde („Gate-Control-Effekt“). Dieses geschehe in kontinuierlicher Impulsfolge und führe beim Patienten zur Wahrnehmung eines Kribbelns. Daneben gebe es den Burst-Modus, der über Impulsblöcke höherer Intensität und Dauer und anderer Frequenz zu einer Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn führe. Durch beide Mechanismen werde die Schmerzwahrnehmung gehemmt oder überlagert. Bei der EMS-Behandlung werde das Muskelgewebe scheinbar direkt durch den niederfrequenten Strom gereizt. Faktisch sei es aber so, dass das miterregte Nervengewebe schneller auf den Stromfluss reagiere und an der motorischen Endplatte über eine Acetylcholin-Ausschüttung eine Muskelkontraktion bewirke, so dass hier eine neuromuskuläre Stimulation oder auch indirekte Muskelstimulation vorliege. Damit würden efferente (motorische) Nervenfasern und Muskelgewebe gereizt. Eine Kontraktion der Muskelzellen durch direkte Stimulation komme erst bei einem komplett degenerierten Muskel zum Zuge. Die unterschiedlichen Programme machten die streitgegenständlichen Geräte damit erst für die unterschiedlichen Anwendungen geeignet, da nur durch die Reizung bestimmter Nervenfasern nach bestimmten Reizmustern die erwünschte Wirkung erzielt werde. Um Muskelaufbau, Schmerzbehandlung oder Durchblutungsförderung zu erreichen, müssten Sequenzen niederfrequenter Stromimpulse abgegeben werden, die sich in Frequenz, Intensität und Dauer voneinander unterschieden. Daneben müsse auch die Platzierung der Elektroden jeweils angepasst werden.
Die Klägerin bestätigte sodann, dass es unstreitig sei, dass die TENS-Funktion in die Position 9018 KN, die EMS-Funktion in die Position 8543 KN und die medizinische Massage der Position 9019 KN unterfiele. Nach der Anmerkung 3 zu Kapitel 90 KN sei die Anmerkung 3 des Abschnitts XVI KN vorliegend anzuwenden. Die hiernach notwendige Ermittlung der Hauptfunktion der Geräte führe zu dem Ergebnis, dass die Schmerzlinderung im Vordergrund stehe. Vorliegend erübrige sich aber bereits eine Anwendung der Anmerkungen, da die Multifunktionsmaschinen als solche in einer besonderen Position erfasst seien, nämlich als „Apparate und Geräte zur Nervenreizung“ in der Unterposition 9018 9075 KN. Dies sei unter Anlehnung an die AV 3 a) KN auch die genauere Warenbeschreibung, die einer Einreihung in die Position 8543 KN vorgehe. Selbst die Anwendung der AV 3 c) KN führe zu einer Einreihung der Waren in die Positionen 9018 KN oder 9019 KN.
Der Beklagte erwiderte hierauf, dass die durch die streitgegenständlichen Geräte durch elektrische Signale hervorgerufene Massagewirkung nicht der Position 9019 KN unterfalle. Bei einer Massage würden die Haut, das Bindegewebe und die Muskulatur mittels einer mechanischen Behandlungstechnik durch Dehnungs-, Zug- oder Druckreiz beeinflusst. Sie diene der mechanischen, systematischen, schichtweisen Durcharbeitung der äußeren Gewebsschichten des Körpers zu Heilzwecken. Dies könne durch manuelles Einwirken eines Masseurs, durch elektromechanische Behandlung oder elektrische Vibration bewirkt werden. Auch eine Massage durch Wasserdruck oder Luftwechseldruck sei möglich. Bei allen diesen Methoden würden die zu massierenden Körperteile jedoch passiv bewegt, ohne Muskelkontraktionen auszulösen. Die Position 9019 KN erfasse zwei Arten von Massagegeräten, nämlich elektrische Vibrationsmassagegeräte und mechanische oder elektromechanische Massagegeräte. Die streitgegenständlichen Geräte unterschieden sich von den Massagegeräten dieser Position dadurch, dass die entsprechenden Programme klassische Massagetechniken zwar auf gewisse Art nachahmten, diese aber wie bei den Muskeltrainingsprogrammen durch elektrische Reizung und die daraus resultierende Muskelkontraktion bewirkt würden. Haut, Gewebe und Muskulatur würden somit nicht – wie bei einer Massage üblich – durch einen arbeitenden Teil von außen passiv bewegt. Die sog. Elektromassagefunktion sei daher zolltariflich nicht als Funktion eines Massageapparats der Position 9019 KN zu betrachten. Es handele sich hierbei vielmehr wie bei der EMS um eine nicht-medizinische Reizung. Geräte für die Elektromassage unterfielen daher der Position 8543 KN. Es treffe auch nicht zu, dass die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN vorliegend nicht anzuwenden sei, weil die streitgegenständlichen Geräte als Apparate und Geräte zur Nervenreizung ausdrücklich in der Unterposition 9018 9075 KN erwähnt seien. Diese Unterposition setze das Vorliegen von medizinischen bzw. elektromedizinischen Geräten voraus. Medizinische Geräte in diesem Sinne verlangten üblicherweise die Handhabung durch Ärzte, Chirurgen, Zahnärzte usw. in ihrer Berufspraxis, um entweder eine Diagnose zu stellen, eine Krankheit vorzubeugen oder diese zu behandeln. Auf Geräte zum Muskeltraining oder zur sog. Elektromassage treffe dies nicht zu, weshalb es sich bei ihnen zolltariflich nicht um medizinische Geräte handele. Auch die streitgegenständlichen Multifunktionsgeräte seien deshalb nicht als solche von dieser Unterposition erfasst. Die AV 3 a) KN finde keine Anwendung, da die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN vorrangig anzuwenden sei. Eine Hauptfunktion der Geräte lasse sich bestimmen. Überdies müsse bei der Anwendung der AV 3 a) KN die einzureihende Ware in ihrer Gesamtheit maßgebend sein. Es könne nicht nur auf Teilfunktionen abgestellt werden. Indem die Einreihung vorliegend bereits über die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN gelöst werde, bleibe auch kein Raum für die Anwendung der AV 3 c) KN.
Der Beklagte hat den Einspruch der Klägerin zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Klage zum Finanzgericht Hamburg hatte keinen Erfolg.
Die Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg:
Die angegriffenen vZTAe sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung von vZTAen, in denen die streitgegenständlichen Waren als „Apparate und Geräte zur Nervenreizung“ in die Unterposition 9018 9075 KN eingereiht werden (§ 101 Satz 1 FGO).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sowie des Bundesfinanzhofes3 ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur – KN). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System (HS) Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen4. Daneben werden „Nationale Entscheidungen und Hinweise“ (NEH) zur Kombinierten Nomenklatur und zum Harmonisierten System veröffentlicht, die jedoch lediglich Verwaltungsanweisungen sind, die den deutschen Zollstellen bei Schwierigkeiten mit der Einordnung von Waren eine Tarifierungshilfe geben sollen und nur unverbindlichen Charakter haben5. Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird6.
Ausgehend von diesen Kriterien sind – so das Finanzgericht Hamburg – die Elektrostimulationsgeräte A und C als elektrische Geräte mit eigener Funktion, in Kapitel 85 KN anderweit weder genannt noch inbegriffen, in die Unterposition 8543 7090 KN einzureihen, so das Finanzgericht Hamburg. Die Waren, die jeweils aus einem Impulsgenerator, vier Elektroden, zwei Verbindungskabeln, einem Gürtelclip, drei Batterien und der Gebrauchsanweisung in gemeinsamer Verpackung bestehen und vor dem ersten Gebrauch zusammengesetzt werden müssen, sind als solche nicht vom Wortlaut einer Position der Kombinierten Nomenklatur erfasst. Es handelt sich bei ihnen vielmehr jeweils um Warenzusammenstellungen i.S.d. AV 3 b) KN, die nach dem Bestandteil eingereiht werden, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Bestandteil ermittelt werden kann. Charakterbestimmend ist vorliegend der Impulsgenerator, der die drei Tätigkeiten bzw. Funktionen TENS, EMS und Massage ausüben kann. Da auch ein solches Gerät nicht direkt vom Wortlaut einer KN-Position erfasst wird, ist es als Multifunktionsmaschine nach Maßgabe der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN einzureihen. Danach werden, soweit – wie hier – nichts anderes bestimmt ist, Maschinen, die ihrer Beschaffenheit nach dazu bestimmt sind, zwei oder mehrere verschiedene, sich abwechselnde oder ergänzende Tätigkeiten (Funktionen) auszuüben, nach der das Ganze kennzeichnenden Haupttätigkeit (Hauptfunktion) eingereiht. Welche Funktion des Impulsgenerators vorliegend die Hauptfunktion darstellt, kann offenbleiben. Denn alle drei von ihm ausgeübten Funktionen sind in die Unterposition 8543 7090 KN einzureihen.
Der Impulsgenerator ist hinsichtlich seiner Funktion, durch elektrische Signale eine Massagewirkung hervorzurufen, in die (Auffang-)Unterposition 8543 7090 KN einzureihen. Eine Einreihung in die daneben allein mögliche Unterposition 9019 1090 KN als „anderes Massagegerät“, nicht erfasst von der Unterposition 9019 1010 KN, unter die elektrische Vibrationsmassagegeräte fallen, kommt nicht in Betracht. Geräte zur reinen elektrischen „Massage“, ohne eine mechanische Einwirkung auf die Haut, werden von der Unterposition 9019 10 KN nicht erfasst. „Massage“ wird definiert als mechanische Einwirkung auf die Haut und die unter ihr liegenden Gewebe (Muskeln, Bindegewebe, Weichteile) unter Anwendung verschiedener Handgriffe wie Streichung, Reibung, Knetung, Klopfung, Hackung, Klatschung, Schüttelung usw., zuweilen unter Zuhilfenahme von Massagegeräten oder von Gleitmitteln. Neben der Steigerung der Durchblutung und der örtlichen Freisetzung von körpereigenen Wirkstoffen (z.B. Histamin, Acetylcholin) wird zusätzlich eine Tonisierung des Gefäßsystems und der inneren Organe erreicht (Brockhaus – Die Enzyklopädie, 20. Auflage 1998, 14. Band, „Massage“). Die Erläuterungen zur Position 9019 HS verdeutlichen, dass unter diese Position nur Massagegeräte fallen, die entsprechend des aufgezeigten Wortverständnisses mechanisch auf die Haut einwirken. Danach arbeiten die Geräte zur Massage im Allgemeinen etwa mit Reibung oder Vibration. Sie können hand- oder motorbetrieben oder auch elektro-mechanisch sein, wobei der Motor in den arbeitenden Teil des Gerätes eingebaut ist (z.B. bei Vibrationsmassagegeräten). Die weiteren Beispiele wie Hydromassagegeräte, bei denen der Wasserdruck oder die Kombination von Wasser- und Luftdruck auf die Haut einwirken, verdeutlichen den Anwendungsbereich ebenfalls. Schließlich wird auch hinsichtlich Matratzen, die ein Wundliegen verhindern, zur Einreihung in die Position 9019 KN auf den Massageeffekt auf der Oberfläche abgestellt (Erläuterungen zur Position 9019 HS, EZT-Nr. 14.0 ff.). Konsequenterweise wird in den Erläuterungen eine reine „Elektromassage“, anders als eine elektro-mechanische Massage daher nicht genannt. Dass zwischen der durch elektrische Signale hervorgerufenen „Massagewirkung“ und einer realen Massage entscheidende Unterschiede bestehen, ergibt sich im Übrigen auch aus den Bedienungsanleitungen zu den streitgegenständlichen Geräten. Darin heißt es jeweils, dass das Gerät durch die integrierte Massagetechnologie außerdem die Möglichkeit biete, mit einem „in Empfindung und Wirkung an eine reale Massage angelehnten Programm“ Muskelverspannungen abzubauen und Müdigkeitserscheinungen zu bekämpfen.
Auch hinsichtlich der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) ist der Impulsgenerator in die Position 8543 7090 KN einzureihen, so das Finanzgericht Hamburg. Eine Einreihung als Apparat und Gerät zur Nervenreizung in die Unterposition 9018 9075 KN kommt nicht in Betracht. Unter die Position 9018 KN fallen medizinische, chirurgische, zahnärztliche oder tierärztliche Instrumente, Apparate und Geräte, einschließlich Szintigrafen und andere elektromedizinische Apparate und Geräte, sowie Apparate und Geräte zum Prüfen der Sehschärfe. Mithin fällt nicht jeder Apparat zur Nervenreizung unter die Unterposition 9018 9075 KN, sondern es muss sich dabei auch um ein (elektro-)medizinisches Gerät handeln. Dieser Verwendungszweck, der sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Position 9018 KN ergibt, ist ein tarifliches Einreihungskriterium7.
Die erforderliche medizinische Zweckbestimmung ist bei den streitgegenständlichen Geräten nicht gegeben. Der EuGH hat sich in der Rechtssache Oliver Medical8 – soweit ersichtlich – erstmals ausführlich mit der Prüfung der medizinischen Zweckbestimmung von Waren der Position 9018 KN auseinandergesetzt und die entscheidenden Kriterien benannt. Vorher ergangene Urteile und Einreihungsverordnungen mit abweichenden Begründungen erscheinen aus diesem Grund überholt9. Der EuGH hat im genannten Urteil zunächst unterstrichen, dass für die Zwecke der Einreihung in die geeignete Position der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, sofern er der Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss. Sodann hat er auf die Erläuterungen zur Position 9018 HS (EZT-Nr. 01.0) abgestellt. Diese lauten: Zu dieser Position gehört eine besonders große Anzahl von Instrumenten, Apparaten und Geräten aus Stoffen aller Art (einschließlich Edelmetalle), die im Wesentlichen durch die Tatsache gekennzeichnet sind, dass sie in fast allen Fällen üblicherweise die Handhabung durch Ärzte, Chirurgen, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen usw. in ihrer Berufspraxis verlangen, um entweder eine Diagnose zu stellen, einer Krankheit vorzubeugen, sie zu behandeln, eine Operation durchzuführen usw. Der EuGH folgert daraus zum einen, dass diese Apparate, Geräte und Instrumente in den meisten Fällen von einem Angehörigen der Gesundheitsberufe verwendet werden, ohne dass in jedem Fall eine Handhabung durch eine solche Person erforderlich wäre, und zum anderen, dass diese Apparate, Geräte und Instrumente für medizinische Zwecke bestimmt sind. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist, sind alle relevanten Aspekte des konkreten Falles zu berücksichtigen, soweit es sich dabei um dieser Ware innewohnende objektive Merkmale und Eigenschaften handelt. Es obliegt dem Einführer, bei der Einfuhr den Nachweis zu erbringen, dass die genannte Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist. Als solche relevanten Aspekte sind die Verwendung, die der Hersteller für die betreffende Ware vorgesehen hat, sowie die Art und Weise und der Ort der Verwendung dieser Ware zu prüfen. So sind der Umstand, dass die Ware zur Behandlung einer oder verschiedener Krankheiten bestimmt ist, und der Umstand, dass diese Behandlung in einem Gesundheitszentrum und unter der Aufsicht eines Arztes erfolgen muss, Indizien, mit denen nachgewiesen werden kann, dass die genannte Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist. Andererseits sind der Umstand, dass die Ware in erster Linie ästhetische Verbesserungen ermöglicht, dass sie außerhalb eines medizinischen Rahmens, beispielsweise in einem Schönheitssalon, und ohne die Handhabung durch einen Arzt verwendet werden kann, Indizien, mit denen widerlegt werden kann, dass die Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist. Der Umstand, dass eine Ware mit einer EG-Kennzeichnung versehen ist, die die Konformität eines Medizinproduktes mit den Bestimmungen der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte10 bestätigt, stellt einen Aspekt neben anderen dar, der insoweit zu berücksichtigen ist. Da mit der Richtlinie 93/42/EWG jedoch andere Ziele verfolgt werden als mit der Kombinierten Nomenklatur und um die Kohärenz der Auslegung der Kombinierten Nomenklatur mit der Auslegung des Harmonisierten Systems zu wahren, kann der Umstand, dass eine Ware mit einer EG-Kennzeichnung versehen ist, für die Beurteilung der Frage, ob diese für medizinische Zwecke im Sinne der Position 9018 KN bestimmt ist, nicht ausschlaggebend sein. Ausschlaggebend ist vielmehr die medizinische Zweckbestimmung der Ware11. Abschließend hat der EuGH festgestellt, dass die Abmessungen, das Gewicht und die verwendete Technologie keine für die Einreihung einer Ware in die Position 9018 KN ausschlaggebenden Aspekte darstellen.
Nach Abwägung aller relevanten Aspekte des Einzelfalls ist ein medizinischer Verwendungszweck der streitgegenständlichen Waren auch hinsichtlich der TENS-Funktion nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg zu verneinen. Zwar dient die elektrische Stimulation der Nervenbahnen der Behandlung und Linderung diverser Schmerzen wie Rücken-, Gelenk- oder Kopfschmerzen. Bei den streitgegenständigen Waren handelt es sich auch um Medizinprodukte im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG. Die Art und Weise und der Ort der Verwendung der Waren sprechen aber gegen einen medizinischen Verwendungszweck. Die Geräte müssen nicht innerhalb eines medizinischen Rahmens verwendet werden. Eine medizinische oder auch technische Einweisung durch einen Angehörigen der Gesundheitsberufe im Rahmen eines Behandlungskonzepts, eine Überwachung der Verwendung oder eine sonstige Rückkopplung mit einem Arzt oder Therapeuten ist weder erforderlich noch vorgesehen. Die Geräte wenden sich angesichts ihrer einfachen Bedienbarkeit, die sich aus ihrer Bauart, Konstruktion und der Vielzahl der vorgegebenen Programme ergibt, erkennbar an einen Privatanwender. Sie sind ohne Vor- oder Fachkenntnisse zu bedienen. Nach dem Starten der Geräte ist auf dem Display lediglich die Entscheidung zwischen den drei Basisfunktionen und anschließend hinsichtlich des anzuwendenden Programms zu treffen. Auch die Gebrauchsanleitung des Herstellers spricht hinsichtlich der TENS von einer „einfachen Selbstbehandlung“. Jedes Krankheitsbild, das eine TENS-Anwendung sinnvoll mache, müsse vom behandelnden Arzt abgeklärt werden. Dieser werde den Benutzer auch Hinweise zum jeweiligen Nutzen einer „TENS-Selbstbehandlung“ geben. Eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt regt die Gebrauchsanweisung hingegen nur bei einigen akuten Erkrankungen an. Dass das Gerät auf eine Selbstbehandlung abzielt, wird schließlich auch dadurch deutlich, dass es nicht wie ähnliche Apparate über einen Therapiespeicher verfügt, mit dessen Hilfe ein Arzt die Compliance eines Patienten überwachen könnte. Folglich besitzt auch der Ort der Verwendung der Geräte keine Anknüpfung an einen medizinischen Rahmen. Letztlich wird der Anwender sie zu Hause benutzen; aufgrund des Gürtelclips kann er dabei sogar noch mobil sein12 „elektrisches Gerät zur Hautbehandlung und Haarentfernung durch Lasertechnologie“; Bundesfinanzgericht der Republik Österreich, Erkenntnis vom 09.12,2015, RV/4200017/2012, zu finden unter www.bfg.gv.at)).
Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung die Einreihung von TENS-Apparaten in die Position 9018 KN damit begründet hat, dass die in der Erläuterung zur Position 9018 HS (EZT-Nr. 01.0) aufgestellten Voraussetzungen im „erweiterten Sinne“ auch auf TENS-Geräte zuträfen, da diese „im Allgemeinen“ auf ärztliche Verordnung und unter medizinischer Anleitung zur Schmerzbehandlung von Patienten verwendet würden, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es trifft zu, dass TENS-Geräte auch ärztlich verordnet werden können und sodann unter medizinischer Anleitung zur Schmerzbehandlung selbstständig vom Patienten verwendet werden. Nach wie vor gibt es auch hochpreisige TENS-Geräte für die stationäre Behandlung von Schmerzpatienten, für deren Bedienung Fachwissen erforderlich ist. Die medizinische Zweckbestimmung solcher Geräte, die sich aus ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften ergibt, kann aber nicht „ausstrahlen“ auf die TENS-Funktion von Apparaten wie den streitgegenständlichen, nur weil diese insoweit auch der Schmerzbehandlung durch Nervenreizung dienen. Insoweit wird übersehen, dass sie nach ihrer Beschaffenheit zur reinen Selbstbehandlung bestimmt sind und damit eine der von den Erläuterungen aufgestellten wesentlichen Voraussetzung gänzlich fehlt. Der EuGH hat in der Rechtssache Oliver Medical zum Ausdruck gebracht, dass hinsichtlich jeder Ware die medizinische Zweckbestimmung durch eine einzelfallbezogene Abwägung bejaht oder verneint werden muss. Dies gilt auch für die verschiedenen Arten von TENS-Geräten.
Unter Verweis auf die Ausführungen zur Einreihung der TENS-Funktion des Impulsgenerators ist auch dessen EMS-Funktion in die Unterposition 8543 7090 KN einzureihen. Eine Einreihung als medizinischer Apparat der Position 9018 KN kommt nicht in Betracht, da es an dem erforderlichen medizinischen Verwendungszweck fehlt. Im Rahmen dieser Funktion werden keine Diagnosen gestellt oder Krankheiten behandelt, sondern ästhetische Verbesserungen verfolgt, indem Gliedmaßen gestraft, gekräftigt, modelliert, geformt oder ihre Widerstandskraft erhöht wird. Ein Bezug zur ärztlichen oder therapeutischen Berufspraxis besteht nicht (ebenso die Begründung zur Einreihung eines sog. „Muskeltrainingssortiments“ in die Unterposition 8543 7090 KN nach der Verordnung (EG) 1386/2003).
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 19.11.2019 – 4 K 47/15
- ABl. L 196, 19 [↩]
- ABl. L 317, 1 [↩]
- EuGH, Urteil vom 20.06.1996 – C-121/95; BFH, Urteil vom 18.12.2001 – VII R 78/00 [↩]
- EuGH, Urteil vom 09.12.1997 – C-143/96 [↩]
- BFH, Urteil vom 09.05.2000 – VII R 14/99 [↩]
- BFH, Urteil vom 14.11.2000 – VII R 83/99 [↩]
- BFH, Urteil vom 13.01.2015 – VII R 25/13 [↩]
- EuGH, Urteil vom 04.03.2015 – C-547/13 [↩]
- wie FG Brandenburg, Urteil vom 14.03.2001 – 4 K 743/00 [↩]
- ABl. L 169, 1 [↩]
- Bundesfinanzgericht der Republik Österreich, Erkenntnis vom 09.12.2015, RV/4200017/2012, zu finden unter www.bfg.gv.at [↩]
- vgl. zur ähnlichen Abwägungsergebnissen die Einreihungsverordnung (EU) 2018/81 vom 16.01.2018 ((ABl. L 16, 1 [↩]