Immer wieder kommt es zu Problemen, wenn im Wald Spaziergänger, Jogger oder Fahrradfahrer auf unangeleinte Hunde treffen – auch ohne, dass es zu einem Beissvorfall kommt.
Wir hatten z.B. hier bereits über einen Fall berichtet, in dem ein Radfahrer wegen eines unangeleinten Hundes zu Fall kam.
Nun hat das Oberlandesgericht Hamm aktuell entschieden, dass ein Hundehalter jedenfalls zu 2/3 für die Schäden haftet, die ein Radfahrer erleidet, nachdem er wegen eines unangeleinten Hundes auf einem Waldweg gestürzt ist.
Was war passiert?
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem Unfall in Anspruch, der sich auf einem Wanderweg zwischen A und B ereignete. Der Kläger befuhr diesen Wanderweg mit seinem Fahrrad, die Beklagte ging mit ihrem unangeleinten Hund in gleicher Richtung wie der Kläger spazieren. Als der Kläger die Beklagte passieren wollte, kam es zur Kollision mit der Beklagten, in deren Folge der Kläger stürzte und sich verletzte.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte sei mittig auf dem Wanderweg gelaufen und habe auf sein in der Annäherung erfolgtes mehrfaches Klingeln nicht reagiert. Sodann habe er links an ihr vorbeifahren wollen, als plötzlich der Hund der Beklagten aus seiner Fahrtrichtung von links aus dem Wald gelaufen und der Kläger bei dem Versuch, dem Tier auszuweichen, mit der Beklagten kollidiert und gestürzt sei. Er habe sich eine Beckenringfraktur, Rückenprellungen und diverse Schürfwunden zugezogen.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500,00 Euro, Heilbehandlungskosten in Höhe von 988,95 Euro sowie Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen und die Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere Schäden dem Grunde nach begehrt.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, ihr Hund sei unmittelbar, nur wenige Meter von ihr entfernt, vor ihr hergelaufen. Sie habe jederzeit die Möglichkeit gehabt, ihren Hund sofort festzuhalten und die griffbereite Leine anzubringen. Als sie sich aufgrund eines hinter ihr entstandenen Geräusches umgedreht habe, sei der Kläger mit seinem Fahrrad frontal auf sie zugefahren und hätte sie beinahe zu Fall gebracht. Es sei aufgrund des hohen Alters des Klägers von 81 Jahren davon auszugehen, dass dieser zu spät reagiert und daher zu spät gebremst habe.
Das Landgericht Paderborn hat die Parteien zum Unfallhergang angehört und die Klage sodann mit der Begründung abgewiesen, es sei dem Kläger nicht gelungen, zu beweisen, dass der freilaufende Hund der Beklagten für seinen Sturz unfallursächlich geworden sei1.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein, mit der er seinen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von noch 5.000,00 Euro sowie den Feststellungsantrag unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 1/3 und anteilige Anwaltskosten weiterverfolgt.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm:
Das Oberlandesgericht Hamm hat die Parteien zum Unfallhergang angehört.
Die Berufung des Klägers, mit der er nur noch einen reduzierten Teil seines Ursprungsantrages verfolgt, hatte danach größtenteils Erfolg.
Dem Kläger steht nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm ein Schmerzensgeld aus § 253 Abs. 2 i. V. m. § 833 Abs. 1 BGB sowie die begehrte Feststellung der Haftung der Beklagten dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel für zukünftige Schäden zu.
Der Sturz des Klägers auf dem Wanderweg wurde zur Überzeugung des Oberlandesgerichts Hamm durch die von dem Hund der Beklagten ausgehende Tiergefahr verursacht, für die die Beklagte als Halterin des Hundes einzustehen hat.
Der Kläger hat sowohl in seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht Paderborn als auch vor dem Oberlandesgericht Hamm erklärt, dass der Hund der Beklagten von links aus dem Wald gelaufen und er selbst bei dem Versuch, dem Tier auszuweichen, mit der Beklagten kollidiert sei.
Das Vorbringen der Beklagten steht dem nicht entgegen. Dieses ging zwar schriftsätzlich dahin, dass ihr Hund die ganze Zeit vor dem fraglichen Vorfall vor ihr hergelaufen sei. Allerdings hatte sie bereits in ihrer mündlichen Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt, dass sich, was sie zunächst bestritten hatte, ihr Hund kurz vor dem Unfall im Wald befunden habe, um an einem nahe gelegenen Bach zu trinken, sodann zu ihr zurückgekommen und sie daraufhin zwei bis drei Meter mit ihrem Hund gegangen sei, bevor es zur Kollision gekommen sei. Auch vor dem Oberlandesgericht Hamm hat die Beklagte angegeben, dass ihr Hund, nachdem er aus dem Wald herausgelaufen und zu ihr zurückgekehrt sei, neben ihr gelaufen sei und sich dann vor sie gesetzt habe, konkret sei er ein bis zwei Meter neben ihr gelaufen und habe sich dann vor sie gesetzt. Schon aus diesen Angaben folgt die Richtigkeit des Klägervortrages, dass nämlich der Hund unmittelbar vor ihm aus dem Wald herausgekommen sei und ihn zum Ausweichen genötigt habe. Denn auch nach der Schilderung der Beklagten können nur wenige Sekunden zwischen der Rückkehr des Hundes aus dem Wald und dem Sturz des Klägers vergangen sein.
Im Übrigen ist der – um ihre Entlastung bemühten – Darstellung der Beklagten insoweit mit Vorbehalt zu begegnen, als sie einerseits nicht mittig, sondern hart links auf dem Weg gegangen sein will, andererseits jedoch einräumte, dass der Kläger auf die linke Seite gefallen ist, was sich mit dem von ihr geschilderten Unfallverlauf nicht in Einklang bringen lässt. Bei der Würdigung der Angaben der Beklagten ist auch zu berücksichtigen, dass diese zunächst bestritten hatte, dass ihr Hund sich kurz vor der Kollision im Wald aufgehalten und dies erst eingeräumt hat, als sie dazu vom Landgericht befragt wurde. Im Übrigen erscheint es dem Oberlandesgericht Hamm auch völlig unplausibel, dass der Kläger als äußerst geübter Fahrradfahrer auf gerader Strecke und bei guter Sicht völlig grundlos auf die Beklagte zugefahren sein soll.
Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen besteht für das Oberlandesgericht Hamm kein Zweifel an den vom Kläger vorgetragenen unfallbedingten Verletzungen, nämlich einer Beckenringfraktur, diversen Schürfwunden und einem stumpfen Thoraxtrauma. Die Mutmaßung der Beklagten, der Kläger könne sich die Beckenringfraktur bei einem anderen Unfall kurz nach dem hier in Rede Stehenden zugezogen haben, liegt neben der Sache und bewegt sich am Rande der Seriosität. Das Oberlandesgerocht Hamm hält angesichts der eingetretenen Verletzungen, die besonders schmerzhaft waren, wie der Kläger auch glaubhaft dargelegt hat, und etwa sechs Monate anhielten, ebenso wie der erheblichen Bewegungseinschränkungen in dieser Zeit, ein Schmerzensgeld unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers, in Höhe von 4.000,00 Euro für angemessen, aber auch ausreichend, um den Kläger zu entschädigen.
Auch der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Bei einer schwerwiegenden Knochenverletzung wie einer Beckenringfraktur kann es immer zu Arthrose kommen, wie es der Erfahrung des Senats in ähnlichen Haftpflichtsachen entspricht. Allein diese Möglichkeit genügt, um die Haftung der Beklagten für sich daraus ergebende materielle oder immaterielle künftige Schäden festzustellen.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 08.06.2021 – 9 U 77/20
ECLI:DE:OLGHAM:2021:0608.9U77.20.00