Ernste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der alten Handwerksordnung zum Meisterzwang hat das Bundesverfassungsgericht jetzt in einer Entscheidung geäußert. Die Verfassungsbeschwerde eines gelernten Zimmerers mit langjähriger Berufserfahrung hatte Erfolg. Dieser hatte sich nach erfolgreichem Gesellenabschluss und zehnjähriger beruflicher Tätigkeit im Jahr 1999 in die Handwerksrolle mit dem Gewerbe „Einbau von genormten Baufertigteilen“ eintragen lassen. Die zusätzlich beantragte Eintragung für Zimmererarbeiten wurde wegen der fehlenden Meisterprüfung abgelehnt. Gleichwohl erbrachte der Beschwerdeführer durch seinen Betrieb von 1998 bis 2001 Zimmerer- und Dachdeckerarbeiten, wobei er Umsatzerlöse von 1 Mio. Euro erzielte. Hiergegen schritt die zuständige Behörde ein. Rechtsmittel des Beschwerdeführers blieben erfolglos. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob die 3. Kammer des Ersten Senats die angegriffenen gerichtlichen Beschlüsse auf, da sie den Beschwerdeführer in seiner Berufsfreiheit verletzten.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Grundlage der angegriffenen Maßnahmen sind die Vorschriften der bis 2003 geltenden Handwerksordnung über den Meisterzwang. Danach ist der selbständige Betrieb eines Handwerks nur den in die Handwerksrolle
Eingetragenen gestattet. Eingetragen in die Handwerksordnung wurde grundsätzlich nur, wer die Meisterprüfung bestanden hatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch schon in seiner grundlegenden
Entscheidung aus dem Jahr 1961 verdeutlicht, dass von der Möglichkeit Ausnahmen zuzulassen, großzügig Gebrauch gemacht werden soll. Die Erteilung einer solchen Ausnahmebewilligung war in der Situation des
Beschwerdeführers nicht ausreichend geprüft worden. Es bestehen zudem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des früher geltenden Rechts. Wegen der veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Situation ist zweifelhaft, ob die Regelung der alten Handwerksordnung in dem hier maßgeblichen Zeitraum noch verhältnismäßig war. Die wachsende Konkurrenz aus dem EU-Ausland lässt daran zweifeln, ob der große
Befähigungsnachweis zur Sicherung der Qualität der in Deutschland angebotenen Handwerkerleistungen noch geeignet sein konnte. Es stellt sich die Frage, ob der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand, den die
Meisterprüfung erfordert, zumutbar ist, wenn Handwerker aus dem EU-Ausland für ein selbständiges Tätigwerden in Deutschland lediglich eine mehrjährige Berufserfahrung mit herausgehobener beruflicher
Verantwortung benötigen, nicht dagegen eine dem Meistertitel entsprechende Qualifikation. Auch soweit der Gesetzgeber das Ziel der Ausbildungssicherung verfolgt, bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit
des Meisterzwangs. Dass es nicht zwingend ist, die Ausbildung ausschließlich Handwerksmeistern anzuvertrauen, könnte aus der Neuregelung des Handwerksrechts folgen. Nach der seit 2004 geltenden
Fassung der Handwerksordnung sind unter bestimmten Voraussetzungen auch berufserfahrene Gesellen zur Ausbildung geeignet.
BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2005 – 1 BvR 1730/02