Das Finanzamt kann den Antrag auf Verlängerung der Abgabefrist der Einkommensteuererklärung nicht mit der Begründung auf einen „Steuerfall mit Spitzensteuersatz“, hat das Finanzgericht Düsseldorf entschieden.
In dem entschiedenen Fall hatte das Finanzamt die steuerlichen Berater der Kläger auf gefordert, die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2010 bis zum 30.9.2011 abzugeben, „… weil aufgrund der Höhe der Einkünfte mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen zu rechnen…“ sei.
Die Kläger erhoben dagegen Einspruch und baten um eine nähere Begründung. Der Beklagte wies den Einspruch – ohne weiteren Schriftwechsel – als unbegründet zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht Düsseldorf entschied, daß die Aufforderung an die Kläger mit Schreiben vom 21.3.2011, die Einkommensteuererklärung 2010 bis zum 30.9.2011 abzugeben, ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig gewesen sei.
Die Einkommensteuererklärung ist bis zum 31.5. des Folgejahres abzugeben (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO); die Frist kann auf Antrag oder von Amts wegen verlängert werden (§ 109 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Verlängerung der Frist liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Über die Verlängerung der Fristen ergehen jährlich gleichlautende Verwaltungsvorschriften der obersten Finanzbehörden der Länder, hier für die Einkommensteuer 2010 Erlass des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen, S 0320-1-V A 2, vom 3.1.20111. Nach Abschnitt II des Erlasses wird die Frist, sofern die Steuererklärung wie im Streitfall durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe angefertigt wird, vorbehaltlich des Absatz 2 nach § 109 AO allgemein bis zum 31.12.2011 verlängert. Absatz 2 des Erlasses lautet:
„Es bleibt den Finanzämtern vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Von dieser Möglichkeit soll insbesondere Gebrauch gemacht werden, wenn
– für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum die erforderlichen Erklärungen verspätet oder nicht abgegeben wurden,
– für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum kurz vor Abgabe der Erklärung bzw. vor dem Ende der Karenzzeit nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO nachträgliche Vorauszahlungen festgesetzt wurden,
– sich aus der Veranlagung für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine hohe Abschlusszahlung ergeben hat,
– hohe Abschlusszahlungen erwartet werden,
– für Beteiligten an Gesellschaften und Gemeinschaften Verluste festzustellen sind oder
– die Arbeitslage der Finanzämter es erfordert.“
Diese Verwaltungsvorschriften sollen nach allgemeiner Ansicht einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen Steuerpflichtigen, steuerberatenden Berufen und Finanzbehörden ermöglichen und beinhalten als Ermessensrichtlinien Grundsätze für die Ausübung des Ermessens im Einzelfall2. Dem Gericht obliegt die Aufgabe, die im Einzelfall getroffene Ermessensentscheidung daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO). Sind Ermessensrichtlinien erlassen, ist zu überprüfen, ob sich die Behörde an die Richtlinie gehalten hat, ob die Ermessensrichtlinie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob die Behörde von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch macht3.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Beklagten, die Steuererklärung 2010 im Einzelfall abweichend von der allgemein verlängerten Frist laut Erlass vom 3.1.2011 bereits zum 30.9.2011 anzufordern, ermessensfehlerhaft, so das Finanzgericht Düsseldorf.
Der Beklagte hat in der Begründung des Anforderungsschreibens und in der Einspruchsentscheidung keine konkreten Ermessenserwägungen angestellt, die sich an den oben genannten, in Abschnitt II Absatz 2 Satz 2 des Erlasses vom 03.01.2011 aufgezählten Tatbeständen orientieren und die die im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der Kläger berücksichtigen.
In der Einspruchsentscheidung wird nur theoretisch erörtert, dass sich bei „hohen Einkünften“ „wegen des Spitzensteuersatzes“ betragsmäßig „hohe Auswirkungen“ „zuungunsten“ wie „zugunsten“ ergeben könnten, „sollten“ sich gegenüber den festgesetzten Vorauszahlungen Abweichungen ergeben. Ebenso lässt die Kurzbegründung zum Anforderungsschreiben „…weil aufgrund der Höhe der Einkünfte mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen rechnen ist …“ offen, ob der Beklagte bei der Anforderung der Erklärung mit hohen Erstattungen „zugunsten“ oder mit hohen Nachzahlungen „zuungunsten“ der Kläger rechnet. Der Erlass vom 03.01.2011 sieht die Möglichkeit, die Steuererklärung vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern, vor, “ … wenn hohe Abschlusszahlungen erwartet werden…“. Ob dies im Fall der Kläger vorliegt, hat der Beklagte mit seiner Kurzbegründung im Anforderungsschreiben und mit den Ermessenserwägungen der Einspruchsentscheidung nicht entschieden.
Die Ermessensentscheidung des Beklagten, die Steuererklärung vorliegend zum 30.9.2011 anzufordern, ist aber auch dann unzureichend begründet, wenn zugunsten des Beklagten unterstellt wird, dass mit der Formulierung „…wegen der Höhe der Einkünfte ist mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen zu rechnen…“ die im Erlass vom 3.1.2011 aufgeführte Voraussetzung, dass „hohe Abschlusszahlungen erwartet werden“ gemeint ist. Denn auch in diesem Fall fehlt es an einem konkreten auf den Sachverhalt der Kläger ausgerichteten und durch das Gericht nachprüfbaren Tatsachenvortrag und an einzelfallbezogenen Ermessenserwägungen des Beklagten. Einzelheiten zur Höhe der Einkünfte der Kläger im Vorjahr 2009 und zur voraussichtlichen Höhe in 2010 sind der Einspruchsentscheidung insgesamt nicht zu entnehmen. Auch der Umstand, dass der Kläger nach Aktenlage Beteiligungseinkünfte erzielt, die Gegenstand einer Feststellungserklärung sind, und die Frage, ob bereits früher die Möglichkeit bestanden hätte, die Vorauszahlungen anzupassen, sind nach dem Inhalt der Einspruchsentscheidung offenkundig nicht Gegenstand der Ermessenserwägungen gewesen.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 29.07.2011 – 12 K 2461/11 AO
- BStBl I 2011, 44 [↩]
- Tipke-Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 149 Rn 11 m.w.N.; Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2000 – X R 24/95, BStBl II 2000, 514 [↩]
- Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.04.2006 – VI R 64/02, BStBl II 2006, 642 [↩]