Während der Corona-Pandemie ist es nicht wenigen Arbeitnehmern passiert, dass sie sich in ihrem abgesprochenen und genehmigten Urlaub befanden und während diese Urlaubs eine Quarantäneanordnung der Behörde erhielten. Daraus resultierte natürlich die Frage, ob die Zeit der Qurantäne wirklich von den Urlaubstagen abgezogen werden konnte.
Das Landesarbeitsgericht Hamm ist nun – entgegen einer Vielzahl anderslautender Entscheidungen – zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zeit der Quarantäne nicht auf die Urlaubstage anzurechen sei und damit eine mit der Berufung angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts Hagen1 abgeändert.
Warum?
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Hagen ist § 9 BUrlG nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm jedenfalls analog auf den Fall einer angeordneten Quarantäne anzuwenden. Die Zeiten der Quarantäne sind analog § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen. Diese sind dem Kläger zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren. Zu diesem Zweck sind diese dem Urlaubskonto gutzuschreiben.
Die Frage, ob eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG im Fall einer angeordneten Quarantäne möglich ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet.
Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die erfassten Fälle. Es muss allerdings eine positiv festzustellende Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegen2.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm ist diese in Bezug auf das Zusammentreffen einer Urlaubsgewährung mit einer nachträglichen Anordnung einer Quarantäne geboten, auch wenn der Gesetzgeber das BUrlG mehrfach geändert hat, ohne eine solche Ergänzung des § 9 BUrlG vorzunehmen oder eine ausdrückliche Regelung im Infektionsschutzgesetz vorzunehmen.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2020 unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung zu anderen urlaubsstörenden Vorfällen ausgeführt, der Arbeitgeber schulde auch bei richtlinienkonformem Verständnis von § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG nur die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgeltes zur Erfüllung, einen darüber hinausgehenden „Urlaubserfolg“ schulde er nicht. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) habe der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fielen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub träfen, finde eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt. Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG seien nicht verallgemeinerungsfähig. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, komme grundsätzlich nicht in Betracht. Somit trage regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert. Dieses Risiko werde regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen seien3.
Mit dieser Begründung wurde die Verpflichtung zur Nachgewährung von Urlaub bei vorliegenden Handlungsobliegenheiten des Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit, die den Bezug von Arbeitslosengeld gewährleisten sollten während des Urlaubszeitraumes3 oder aufgrund eines erteilten Beschäftigungsverbotes aufgrund Schwangerschaft vor deren ausdrücklicher gesetzlicher Regelung abgelehnt.
Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.08.19944 ist es von der eigenen früheren Rechtsprechung5 abgerückt, die jedenfalls in den Fällen, in denen für den Arbeitgeber für den Verhinderungsfall (hier die Musterung) eine unabdingbare Entgeltzahlungspflicht vorgesehen ist (hier § 12 ArbPlSchG), eine Anrechnung als gegeben ansah. In der Entscheidung vo, 01.08.19636 hatte das Bundesarbeitsgericht die Unterscheidung der Fälle, in denen eine Anrechnung möglich war insoweit verdeutlicht, als es mit Rücksicht auf den vom Gesetz verfolgten Zweck zwischen solchen Fällen unterschieden hat, in denen der Lohn für den auf Grund bestimmter Ereignisse eintretenden Arbeitsausfall abbedungen werden kann und den Fällen, in denen das nicht zulässig ist. Ein solcher Wertungsmaßstab führe zu einem sinnvollen Ausgangspunkt für die zu entscheidende Rechtsfrage. In den Fällen der Krankheit, der gesetzlichen Wochenfeiertage und des Musterungstages sei eine Abbedingung der Lohnfortzahlung unzulässig. In allen übrigen Fällen des § 616 Abs. 1 BGB sei sie dagegen möglich. Durch diese Regelung sei zugleich abgegrenzt, welche Ereignisse als so wichtig anzusehen seien, dass sie grundsätzlich zu Lasten des Arbeitgebers gingen.
In der Begründung hatte das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 09.08.19947 darauf verwiesen, dass es bereits in einer weiteren Entscheidung8 hieran nicht mehr angeknüpft habe. Dafür bestand allerdings nach der Konstellation der Entscheidung im Jahr 1966 auch kein Grund, wie das Bundesarbeitsgericht dort selbst ausgeführt hat, da es sich um einen Fall der abdingbaren Entgeltfortzahlung aufgrund eines Ereignisses im rein persönlichen Umfeld (Teilnahme an der Beerdigung des Vaters) handelte, weshalb das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich keine Veranlassung sah, sich mit der Kritik an den Entscheidungen aus dem Jahr 1963 weiter auseinanderzusetzen9. Insoweit war das Bundesarbeitsgericht gerade nicht von der älteren Rechtsprechung abgerückt, sondern hatte lediglich im Hinblick auf die in der Literatur geäußerte Kritik an der Rechtsprechung in den Raum gestellt, dass für den vorliegenden Fall offen bleiben könne, ob an diesem Wertungsmaßstab gegenüber den erwähnten Literaturstimmen unter allen Umständen festzuhalten sei.
In der konkreten Entscheidung aus dem Jahr 19947 hat es darauf verwiesen, dass eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG wie bei jedem Fall der analogen Gesetzesanwendung nur in Betracht käme, wenn eine typische Vergleichbarkeit gegeben sei und nicht der im Einzelfall festzustellende Grad der Beeinträchtigung ausschlaggebend sein könne. Aus diesem Grund könne eine analoge Anwendung nur dann in Betracht kommen, wenn typischerweise bei jedem schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbot eine mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung vorliege, was nicht der Fall sei. Weshalb dieses nicht der Fall sei, hat es allerdings nicht ausgeführt, da es nicht vorab definiert hat, was die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit wäre.
Zu berücksichtigen ist hierbei, so das Landesarbeitsgericht Hamm, dass der Gesetzgeber einen vergleichbaren Sachverhalt offensichtlich gesehen hat, weshalb in § 17 MuSchG a.F. (jetzt § 24 MuSchG) ab dem Jahr 2002 (Vorschrift eingefügt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 16.06.200210, in Kraft getreten am 20.06.2002) ausdrücklich geregelt wurde, dass Ausfallzeiten aufgrund mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote als Beschäftigungszeiten gelten, weshalb das BAG auch in einer Folgeentscheidung zu dieser Frage ausgeführt hat, dass nach der gesetzgeberischen Wertung Urlaub während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nicht erlöschen könne11, da § 17 MuSchG eine dem § 9 BUrlG entsprechende Ausnahme von den Rechtsfolgen des § 275 BGB enthalte, eine vom Arbeitgeber nicht zu vertretende Unmöglichkeit damit qua gesetzlicher Ausnahmeregelung nicht gegeben sei. Dieses gelte auch im Fall des Eintretens des Beschäftigungsverbotes zu einem Zeitpunkt, zu dem der Urlaub bereits bewilligt war, denn „die Arbeitnehmerin „erhält“ ihren Urlaub, wenn die mit der Festlegung des Urlaubszeitraums bezweckte Erfüllungswirkung eintritt. Damit die Verpflichtung zur Urlaubserteilung nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt, genügt nicht allein die Vornahme der erforderlichen Leistungshandlung, sondern es muss auch der Leistungserfolg eintreten. Kann die Arbeitnehmerin nach dem Wortlaut des § 17 Satz 2 MuSchG den vor den Beschäftigungsverboten nicht erhaltenen Urlaub danach ungekürzt in Anspruch nehmen, folgt daraus die gesetzgeberische Wertung, dass Urlaub während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nicht erlöschen kann.“11.
Das Landesarbeitsgericht Hamm ist der Ansicht, dass auch im Hinblick auf die vorliegende Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nur grundsätzlich ausschließt und im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung12 im Fall einer Anordnung einer Quarantäne während eines bewilligten Urlaubs, die in die Zeit der Quarantäne fallenden Tage auf den Urlaub anzurechnen und in der Folge entfallene Urlaubstage nachzugewähren sind.
Bereits in seiner grundlegenden Entscheidung bezüglich des Erhaltes von Urlaubsansprüchen im Fall einer langandauernden Erkrankung13 hat der EuGH ausgeführt, dass der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung14 selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen umsetzen dürfen. Der Arbeitnehmer müsse normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt ist, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lasse Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht auch hervor, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen15. Insbesondere hat er festgestellt, dass dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht nur besondere Bedeutung zukommt, sondern dass er auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zuerkannt wird, ausdrücklich verankert ist16; dieses ist bei der Anwendung der nationalen Regelungen im Lichte der europarechtlichen Vorgaben zu beachten.
So hatte der EuGH zwar die Gleichbehandlung von Zeiten der Kurzarbeit aufgrund eines vereinbarten Sozialplans mit Krankheitszeiten bei der Einflussnahme auf Urlaubsansprüche verneint mit der Begründung, der betroffene Arbeitnehmer könne während der Kurzarbeit, die sich aus dem genannten Sozialplan ergibt und für ihn folglich vorhersehbar ist, sich entweder ausruhen oder Freizeittätigkeiten nachgehen. Da er unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leide, befinde er sich daher in einer anderen Lage, als wenn er aufgrund seines Gesundheitszustands arbeitsunfähig wäre17.
Im Fall einer angeordneten Quarantäne ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm aber eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf18 sowie des Landesarbeitsgerichts Köln19 sowie weiterer Instanzgerichte20 gegeben.
Dieser Annahme steht, so das Landesarbeitsgericht Hamm weiter, im Übrigen insoweit auch nicht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.08.19947 entgegen, da dort ausdrücklich die analoge Anwendbarkeit des § 9 BUrlG lediglich mangels typischer Vergleichbarkeit mit der Beeinträchtigung im Fall einer Arbeitsunfähigkeit bei Vorliegen eines Beschäftigungsverbotes aufgrund der ansonsten gegebenen Erforderlichkeit einer Einzelfallbetrachtung verneint wurde.
Dieses ist vorliegend nicht erforderlich, da es im Fall einer Quarantäne-Anordnung nach Auffassung der Kammer im Gegensatz zur Auffassung der o.g. anderweitigen Entscheidungen nicht darauf ankommt, wie der einzelne betroffene Arbeitnehmer die Quarantäne empfindet oder ob er in der Lage ist, dieser positive Aspekte abzugewinnen und welche Beeinträchtigung sich für den konkreten Arbeitnehmer angesichts der bei ihm bestehenden Vorstellungen der „Erholung“ bestehen. Vielmehr steht eine Quarantäne-Anordnung immer einem wesentlichen Aspekt der Urlaubsgewährung entgegen, die darin besteht, die Urlaubsgestaltung frei zu bestimmen bzw. selbstbestimmt zu gestalten7.
Zwar schuldet der Arbeitgeber tatsächlich keinen „Urlaubserfolg“. Der Arbeitnehmer soll aber nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben3.
Die Quarantäne-Bestimmungen verhindern dieses abstrakt gesehen generell, so das Landesarbeitsgericht Hamme, da sie bestimmen, wo sich eine Person aufzuhalten hat, mit wem sie Kontakt haben darf, ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen muss (äußerliche Untersuchungen, Abstriche von Haut und Schleimhäuten), mit der Folge, dass sie für diese Untersuchungen auch zur Verfügung stehen muss. Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass dieser Zeitraum auch mit der Belastung verbunden ist, einen jederzeitigen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können, unabhängig davon, ob die Quarantäne wegen eines positiven Testergebnisses des Betroffenen oder – wie bei dem Kläger – aufgrund eines Kontaktes zu einem bestätigten Covid-19-Fall ausgesprochen wurde.
Die Anordnung einer Quarantäne steht damit einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraumes diametral gegenüber, unabhängig davon, wie der einzelne Betroffene diese persönlich empfindet.
So hat bereits der Bundesgerichtshof zum damaligen § 48 Bundesseuchengesetz entschieden, ein Ausscheider im Sinne des § 2d BSeuchG sei zwar grundsätzlich nicht krank im Sinne des BUrlG21. Die Grenzen zu einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne seien indes fließend. Hierzu hat er sich auf die amtliche Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs eines Bundesseuchengesetzes22 bezogen, in der ausgeführt wurde, der betroffene Personenkreis, somit Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige, denn dieser Personenkreis wurde von § 48 BSeuchG umfasst, seien „vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke“.
Diese Rechtsprechung hat nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamme auch weiterhin Bestand und Bedeutung. Soweit sie auf die ältere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwiesen hatte, geschah dies gerade insoweit, als es auch nach dieser keinen allgemeinen Rechtssatz gebe, dass der Arbeitgeber in den Fällen, in denen der Erholungsurlaub durch andere, nicht auf Krankheit des Arbeitnehmers beruhende Umstände beeinträchtigt oder vereitelt wird, zur Nachgewährung von Urlaub verpflichtet sei.
Gerade im Fall der „seuchenrechtlich“ bedingten Absonderung hat aber der damalige Gesetzgeber diese Analogie insoweit selbst gezogen. Eben dieses wurde durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt. Diese Überlegungen haben auch weiterhin Gültigkeit.
Der Rechtsgedanke ist nach Meinung des Landesarbeitsgerichts Hamm auch auf § 56 IfSG übertragbar. So wird in den Informationen des Bundesministerium für Gesundheit unter der Rubrik „Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbständige“ Stand 01.10.2021 unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass eine Anrechnung auf den Jahresurlaub grundsätzlich dann unterbleibt, wenn die betroffene Person aufgrund ihrer Absonderung krankheitsähnlich an der Wahrnehmung ihres Erholungsurlaubs verhindert ist, etwa weil sie strengen Hygieneauflagen unterliegt und deshalb ihre Urlaubszeit nicht frei und selbstgewählt gestalten kann. Zwar ist dieser Hinweis mittlerweile um die oben zitierte Instanzrechtsprechung ergänzt worden, die eine Anrechnung der Quarantänezeiten ablehnt (Stand 28.12.2021, S. 34). Eben hieraus ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Norm im konkreten Fall der Rechtsprechung anheimgestellt hat.
Allein, dass der Gesetzgeber diese Folge nicht entsprechend § 17 MuSchG (jetzt 24 MuSchG) trotz mehrerer Änderungen des Gesetzestextes ausdrücklich aufgenommen hat, steht im Hinblick auf dieses Verständnis von der Normanwendung damit einer analogen Gesetzesanwendung nicht entgegen, da der Gesetzgeber erkennbar davon ausgegangen ist, dass eine entsprechende Anwendung von § 9 BUrlG durch die Rechtsprechung erfolgt.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm ist diese Rechtsfrage jedenfalls bezogen auf eine angeordnete Quarantäne auch durch den EuGH in der Entscheidung Fetico u.a.23 nicht, auch nicht implizit, entschieden worden.
Grundlage der Entscheidung war eine Vorlage des Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) zu innerstaatlichen gesetzlichen und tariflichen Regelungen, die Sonderurlaubsansprüche für bestimmte Sachverhalte wie die eigene Heirat oder die naher Verwandter, chirurgische Eingriffe, Geburt eines Kindes, Gewerkschaftstätigkeit, die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeit und ähnliches vorsahen. Fraglich war, ob den Beschäftigten in dem Fall, wenn diese zum Sonderurlaub berechtigenden Bedürfnissen und Verpflichtungen in Zeiten des Jahresurlaubs fallen, der Sonderurlaub nachzugewähren wäre. Das vorlegende Gericht hatte insoweit ausgeführt:
Wenn im vorliegenden Fall eines der von der nationalen Regelung erfassten Ereignisse während der wöchentlichen Ruhezeiten oder des bezahlten Jahresurlaubs eintrete, träfen unterschiedliche Anliegen zusammen, und zwar die Erholung, die den Arbeitnehmern durch diese Zeiträume insbesondere verschafft werden solle, und Bedürfnisse oder Verpflichtungen, für die nach der nationalen Regelung bezahlter Sonderurlaub gewährt werde. Wäre es in diesem Fall nicht möglich, die Inanspruchnahme des bezahlten Sonderurlaubs auf einen Zeitpunkt außerhalb der genannten Zeiträume zu verschieben, würde ihr Nutzen zunichte gemacht, da die Arbeitnehmer diese Zeiträume opfern müssten, um den Bedürfnissen und Pflichten nachzukommen, für die der bezahlte Sonderurlaub vorgesehen sei.
Folgerichtig hat es die Frage gestellt: Ist Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die gestattet, dass der Jahresurlaub mit bezahlten Freistellungen, die anderen Zwecken als der Erholung, Entspannung und Freizeit dienen, zusammenfällt?
Diese Frage ist durch die Entscheidung jedenfalls bezogen auf einen Sachverhalt wie den einer Quarantäneanordnung nicht abschließend beantwortet, da das Gericht hierzu ausgeführt hat, die streitgegenständlichen Sonderurlaubstage, die dazu dienten, bestimmten Bedürfnissen und Verpflichtungen nachzukommen, fielen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88, sondern unterlägen der Ausübung der eigenen Befugnisse durch einen Mitgliedstaat. Zwar dürfe die Ausübung solcher eigener Befugnisse nicht dazu führen, dass der den Arbeitnehmern durch die Richtlinie gewährleistete Mindestschutz und insbesondere die tatsächliche Inanspruchnahme der wöchentlichen Mindestruhezeiten und des bezahlten Jahresurlaubs im Sinne ihrer Art. 5 und 7 beeinträchtigt würden. Eine solche Beeinträchtigung hat der Gerichtshof bei einem Zusammentreffe zwischen dem Jahresurlaub und einem Krankheitsurlaub aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzung gesehen. Da der im Ausgangsverfahren vorgesehene bezahlte Sonderurlaub es den Arbeitnehmern nur ermöglichen solle, der Arbeit fernzubleiben, um ganz bestimmten Bedürfnissen oder Verpflichtungen nachzukommen, die ihre persönliche Anwesenheit erforderten, sei er untrennbar mit der Arbeitszeit als solcher verbunden, so dass sich die Arbeitnehmer während der wöchentlichen Ruhezeit oder des bezahlten Jahresurlaubs nicht auf ihn berufen könnten. Daher könne ein solcher Sonderurlaub dem Krankheitsurlaub nicht gleichgestellt werden.
Diese Gedanken sind – so das Landesarbeitsgericht Hamm – auf eine angeordnete Quarantäne nicht übertragbar. Zwar handelt es sich auch hierbei um eine Verpflichtung der Arbeitnehmer, der sie nachkommen müssen, diese knüpft aber gerade nur mittelbar an das Arbeitsverhältnis und die Arbeitspflicht an, soweit diese als Folge der Quarantäne die Erfüllung der Arbeitspflicht unmöglich macht. Die Zeit der Quarantäne dient auch einem anderen Zweck als der Zeitraum des Jahresurlaubs, der der Entspannung und Erholung dienen soll. Die Quarantäne ist dagegen eine zeitlich befristete Absonderung von ansteckungsverdächtigen Personen oder von Personen, die möglicherweise das Virus ausscheiden (siehe Definition RKI Stand: 19.1.2022).
Eine mögliche Nachgewährungspflicht hat der EuGH folgerichtig auch nur im Hinblick auf den Sonderurlaub geprüft, wenn der Grund für die Gewährung eines solchen Sonderurlaubs während des Jahresurlaubs auftritt und dieses mit der Begründung verneint, dass der Sonderurlaub und die für ihn geltende Regelung nicht unter die mit der Richtlinie 2003/88 eingeführte Regelung fallen.
Auch sei der Grundsatz, wonach ein unionsrechtlich gewährter Urlaub nicht das Recht beeinträchtigen dürfe, einen anderen unionsrechtlich gewährten Urlaub zu nehmen, nicht betroffen, da der im Streitfall fragliche Sonderurlaub zwar teilweise unter die Richtlinie 2010/18 zu fallen scheine, die dort geregelten Freistellungsfallgestaltungen aber einem Urlaub im Sinne eines unionsrechtlich geregelten Urlaubs nicht gleichgestellt werden könnten, da diese lediglich vorsähen, dass die Arbeitnehmer berechtigt seien, im Fall höherer Gewalt wegen dringender familiärer Gründe bei Krankheiten oder Unfällen, die die sofortige Anwesenheit des Arbeitnehmers erfordern, der Arbeit fernzubleiben.
Nach Auffassung des Landearbeitsgerichts Hamm sind die dem Kläger im Zeitraum der Quarantäne im Zeitraum des bewilligten Urlaubs anfallenden acht Urlaubstage danach analog § 9 BUrlG weiterhin dem Urlaubskonto des Klägers gutzuschreiben.
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat die Revision gegen seine Entscheidung zugelassen.
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 27.01.2022 – 5 Sa 1030/21
ECLI:DE:LAGHAM:2022:0127.5SA1030.21.00
Anmerkung:
Diese Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm ist bislang eher als „einsam“ zu bezeichnen und eine Entscheidung des Bundesarbeitsgericht zu dieser Frage steht noch aus. Arbeitgeber sollten daher einem Verlangen eines Arbeitnehmers, der sich in einer solchen Situation befand und nun die Nachgewährung von Urlaub verlangt, nicht nachgeben bzw. fachkundigen Rat einholen.
- ArbG Hagen, Urteil vom 28.07.2021 – 2 Ca 2784/20 [↩]
- BAG, Beschluss vom 05.06.2014 – 6 AZN 267/14, NJW 2015, 269 [↩]
- BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 [↩] [↩] [↩]
- BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, BAGE 77, 296 [↩]
- BAG, Urteil vom 01.08.1963 – 5 AZR 59/63; BAG, Urteil vom 01.08.1963 – 5 AZR 74/63 [↩]
- BAG, Urteil vom 01.08.1963 – 5 AZR 74/63 [↩]
- BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92 [↩] [↩] [↩] [↩]
- BAG, Urteil vom 11.01.1966, 5 AZR 383/65 [↩]
- BAG, Urteil vom 11.01.1966 – 5 AZR 383/65 [↩]
- BGBl. I S. 1812 [↩]
- BAG, Urteil vom 09.08.2016 – 9 AZR 575/15 [↩] [↩]
- ABl. 2003, L 299, S. 9; im Folgenden Richtlinie 2003/88/EG [↩]
- EuGH, Urteil vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 –, Schultz-Hoff [↩]
- ABl. L 307, S. 18 [↩]
- EuGH, Urteil vom 30.06.2016 – C-178/15 [↩]
- EuGH, Urteil vom 30.06.2016 – C-178/15, juris, Rz. 20 [↩]
- EuGH, Urteil vom 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, Heimann und Toltschin [↩]
- LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 – 7 Sa 857/21 – bei und hier [↩]
- LAG Köln, 13.12.2021 – 2 Sa 488/21 [↩]
- ArbG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362b/21; ArbG Halle, Urteil vom 23.06.2021 – 4 Ca 285/21; ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 08.06.2021 – 6 Ca 6035/21 [↩]
- BGH, Urteil vom 30.11.1978 – III ZR 43/77 [↩]
- BT-Drs. III/1888 vom 27.05.1960, S. 27, = § 49 BSeuchG; der zum Zeitpunkt der Entscheidung gültig war [↩]
- EuGH, Urteil vom 04.06.2020 – C-588/18 [↩]