Unwirksame AGB bei Lebensversicherungen

Bereits im Mai 2001 erklärte der Bundesgerichtshofs in zwei Urteilen Klauseln in Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam. Nun ereilte das gleiche Urteil auch die daraufhin von den Versicherungsgesellschaften geänderten Allgemeinen Versicherungsbedinungen. Diese erklärte der BGH in drei heute veröffentlichten Urteilen ebenfalls in wesentlichen Punkten für unwirksam.

Bei den 2001 für unwirksam erklärten Versicherungsbedingungen handelte es sich um Klauseln über die Berechnung der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts, die Verrechnung von Abschlusskosten und einen Stornoabzug. Der BGH sah die im Transparenzmangel liegende unangemessene Benachteiligung darin, dass den Versicherungsnehmern die mit der Beitragsfreistellung und der Kündigung insbesondere in den ersten Jahren verbundenen erheblichen wirtschaftlichen Nachteile nicht deutlich gemacht werden. Sie liegen darin, dass wegen der zunächst vollen Verrechnung der Sparanteile der Prämien mit den im Wesentlichen aus der Vermittlungsprovision bestehenden einmaligen Abschlusskosten („Zillmerung“) in den ersten Jahren keine oder allenfalls geringe Beträge zur Bildung einer beitragsfreien Versicherungssumme oder eines Rückkaufswerts vorhanden sind.

Die von den Urteilen unmittelbar betroffenen Lebensversicherer ersetzten die für unwirksam erklärten Klauseln mit Zustimmung des nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) berufenen Treuhänders durch inhaltsgleiche, ihrer Meinung nach nunmehr transparent formulierte Klauseln. Andere Lebensversicherungsunternehmen, deren Allgemeine Bedingungen gleichartige Klauseln enthielten, gingen ebenso vor. Insgesamt dürften davon 10 bis 15 Millionen Verträge betroffen sein, die zwischen Ende Juli 1994 und Mitte 2001 abgeschlossen worden sind.

Zahlreiche Versicherungsnehmer haben die Urteile vom 9. Mai 2001 zum Anlass genommen, ihre Lebensversicherung zu kündigen und im Wege der Stufenklage den Rückkaufswert ohne Verrechnung mit Abschlusskosten und ohne Stornoabzug geltend zu machen. Sie sind unter anderem der Ansicht, das Verfahren der Klauselersetzung nach § 172 VVG sei nur auf reine Risikoversicherungen gemäß § 172 Abs. 1 VVG anwendbar, nicht jedoch auf die kapitalbildende Lebensversicherung. Jedenfalls komme eine Klauselersetzung bei bereits gekündigten Verträgen nicht mehr in Betracht. Keinesfalls sei es zulässig, eine wegen Intransparenz für unwirksam erklärte Klausel durch eine inhaltsgleiche zu ersetzen. Diese Fragen sind in Literatur und Rechtsprechung umstritten.

Der Bundesgerichtshof hatte nunmehr über die Revision gegen drei landgerichtliche Berufungsurteile zu entscheiden: Das Landgericht Hannover hat den beklagten Versicherer verurteilt, dem Versicherungsnehmer über die Höhe des Rückkaufswerts ohne Berücksichtigung von Abschlusskosten und ohne Stornoabzug Auskunft zu erteilen. Das Landgericht Aachen hat dagegen die Klage der Versicherungsnehmerin abgewiesen. Das Landgericht Hildesheim schließlich hat den beklagten Versicherer verurteilt, der Versicherungsnehmerin Auskunft über die Höhe des Rückkaufswerts ohne Berücksichtigung von Abschlusskosten zu erteilen. Seiner Ansicht nach ist es interessengerecht, die Abschlusskosten wie bei der „Riester-Rente“ auf einen längeren Zeitraum zu verteilen (nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AltZertG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung mindestens 10 Jahre; so schon dieselbe Kammer des Landgerichts Hildesheim in einem anderen Urteil aus dem Jahr 2003). Alle drei Landgerichte hatten in ihren Urteilen die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Der Bundesgerichtshof hat die Urteile der Landgerichte aufgehoben und wie folgt entschieden:

§ 172 Abs. 2 VVG ist auch auf die kapitalbildende Lebensversicherung anwendbar und nicht nur auf die Risikoversicherungen im Sinne von § 172 Abs. 1 VVG. Das Gesetz gibt den Lebensversicherungsunternehmen das Recht, bei allen Arten der Lebensversicherung ohne Zustimmung der Versicherungsnehmer unwirksame Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders durch neue Bestimmungen zu ersetzen, wenn zur Fortführung des Vertrages dessen Ergänzung notwendig ist. Die damit verbundene Einschränkung der durch das Grundgesetz gewährleisteten Vertragsfreiheit der Versicherungsnehmer ist nicht verfassungswidrig. Sie ist im Interesse der Rechtssicherheit und der nach § 11 Abs. 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) gebotenen Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer sachlich notwendig.

Die verfassungsrechtlich geschützten Interessen derjenigen, die von der gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit betroffen sind, müssen jedoch hinreichend gewahrt werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist dies dadurch sichergestellt, dass die neuen Klauseln sowohl im Individualprozess als auch im Verbandsprozess der uneingeschränkten richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen. Materiell ist dem Schutzbedürfnis der Versicherungsnehmer durch eine die Voraussetzungen und Wirkungen des § 172 Abs. 2 VVG präzisierende und einschränkende Auslegung Rechnung zu tragen.

Die Ergänzung ist im Sinne von § 172 Abs. 2 VVG zur Fortführung des Vertrages notwendig, wenn durch die Unwirksamkeit der Bestimmung in den Versicherungsbedingungen eine Regelungslücke im Vertrag entsteht. Das ist der Fall, wenn die Unwirksamkeit die Leistungspflichten der Parteien betrifft. Da die Unwirksamkeit einer Klausel dazu führt, dass der Vertrag von Anfang an lückenhaft war, wirkt die lückenfüllende Vertragsergänzung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück. § 172 Abs. 2 VVG erfasst deshalb auch gekündigte und beitragsfrei gestellte Verträge.

Die von den beklagten Versicherungsunternehmen mit Zustimmung eines Treuhänders vorgenommene Ersetzung der unwirksamen Klauseln durch (ihrer Meinung nach) transparent formulierte inhaltsgleiche Bestimmungen ist unwirksam.

Für die unwirksame Vereinbarung von Abzügen bei Beitragsfreistellung und Kündigung (Stornoabzug) gibt es eine Regelung im Gesetz. Nach §§ 174 Abs. 4, 176 Abs. 4 VVG ist der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt, wenn er vereinbart ist. Ist die Vereinbarung wie hier unwirksam, besteht kein Anspruch auf einen Abzug.

Die inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln über die Berechnung der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts bei Kündigung und über die Verrechnung der Abschlusskosten unterläuft die gesetzliche Sanktion der Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 BGB und ist schon deshalb mit den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren. Bei inhaltsgleicher Ersetzung blieben der Verstoß gegen das Transparenzgebot folgenlos und die wegen Intransparenz unwirksamen Klauseln mit den verdeckten Nachteilen bei Kündigung und Beitragsfreistellung für den Versicherungsnehmer letztlich doch verbindlich.

Da die Vertragsergänzung nach § 172 Abs. 2 VVG gescheitert ist, hatte der Senat im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung zu entscheiden, ob und auf welche Art die einmaligen Abschlusskosten mit den Beiträgen zu verrechnen sind. Die danach vorzunehmende Interessenabwägung führt zu folgendem Ergebnis: Bei vorzeitiger Beendigung der Beitragszahlung bleibt jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts darf aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser Mindestbetrag wird bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals. Bereits erworbene Ansprüche aus einer vereinbarten Überschussbeteiligung werden dadurch nicht erhöht.

BGH, Urteile vom 12. Oktober 2005 – IV ZR 162/03, IV ZR 177/03 und IV ZR 245/03

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