Mittlerweile fragt man sich immer öfter, in welcher Welt manche Menschen leben.
Da klagte allen Ernstes der Käufer einer Eigentumswohnung auf Schadensersatz gegen den Veräußerer, da Geräuschbeeinträchtigungen von einem an Autismus erkrankten Kind stammten, welches auf dem Nachbargrundstück wohnt.
Das Landgericht Münster hatte sich mit diesem Fall zu beschäftigen und führte aus:
Der Kläger macht gegen die Beklagten als Verkäufer einer Eigentumswohnung Schadensersatzansprüche wegen Geräuschbeeinträchtigungen geltend, die von einem an Autismus erkrankten Kind stammen, welches auf dem Nachbargrundstück wohnt.
Die Beklagten waren Eigentümer einer im Erdgeschoss gelegenen Eigentumswohnung in S, K.3. Der Eigentumswohnung ist eine Terrassen- und Gartenfläche zugeordnet, die an den Garten des Hausgrundstücks der Familie T., K.5, angrenzt. Nach vorausgegangenen Besichtigungen erwarb der Kläger am 13.11.2008 die Eigentumswohnung zu einem Kaufpreis in Höhe von 128.000,00 €. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Vertrag, der in § 6 einen Gewährleistungsausschluss für Sachmängel aufwies, Bezug genommen.
Nach der Übergabe des Objekts zum 15.01.08 und der Durchführung von Renovierungsarbeiten zog der Kläger im März 2008 in die Wohnung ein. In der folgenden Zeit stellte er fest, dass auf dem benachbarten Grundstück der Familie T. auch deren 9-jähriger Sohn B. lebte. Der Sohn B. leidet offenbar an Autismus, einer Entwicklungsstörung, die in der Regel auf einer Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns beruht. In den Sommermonaten hielt sich der Sohn B. häufig nachmittags bis abends im Garten auf. Dort gab der Junge aufgrund seiner Erkrankung Geräusche von sich, die einem Kreischen oder Schreien ähneln.
Der Kläger sah sich durch diese Geräusche in der Nutzung seiner Terrasse und des Gartens für Büro- oder Freizeitaktivitäten beeinträchtigt und forderte die Beklagten vergeblich zur Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises auf.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Geräusche des autistischen Kindes auf dem Nachbargrundstück einen Sachmangel der Eigentumswohnung darstellen würden, der eine Wertminderung in Höhe von mindestens 10 % des Kaufpreises begründe. Es liege daher ein Schaden in Höhe von 12.250,00 € vor. Jedenfalls hätten es die Beklagten vor Abschluss des Kaufvertrages unterlassen, ihn auf diesen Umstand hinzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 12.250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn vorgerichtliche Kosten in Höhe von 837,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen,
und im Wege der Widerklage,
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagten als Gesamtgläubiger 1.025,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagten sind der Auffassung, den Ansprüchen des Klägers stehe bereits entgegen, dass die geltend gemachten Beeinträchtigungen kein Mangel der Eigentumswohnung darstellen und auch keine Aufklärungspflicht bestanden habe. Außerdem seien die Beeinträchtigungen gering. Wegen der unberechtigten vorgerichtlich erhobenen Forderungen bestehe ihrerseits ein Anspruch auf die mit der Widerklage geforderte Rechtsanwaltsvergütung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten weder nach §§ 434, 437 Nr. 3, 311 a Abs. 2 BGB noch aus §§ 280 Abs. 1 iVm 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB oder einer sonstigen Anspruchsgrundlage zu. Auch ein Anspruch auf Minderung des Kaufpreises nach §§ 434, 437 Nr. 2, 441 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB scheidet aus.Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 434, 437 Nr. 3, 311 a Abs. 2 BGB, da bereits kein Mangel der Eigentumswohnung im Sinne des § 434 BGB zum Zeitpunkt der Übergabe gemäß § 446 S. 1 BGB vorlag. Ein solcher ist dann gegeben, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Sache („Ist-Beschaffenheit“) von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit der Sache („Soll-Beschaffenheit“) abweicht. Wenn keine Beschaffenheit vereinbart wurde, reicht auch ein Abweichen von der üblichen Beschaffenheit, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB (vgl. hierzu: Palandt-Weidenkaff, BGB, 68. Aufl. (2009), § 434 Rn. 25 ff., Staudinger-Matusche-Beckmann, BGB, 14. Aufl. (2004), § 434 Rn. 33, 66). Die von dem Kläger geltend gemachten Geräusche des im benachbarten Garten regelmäßig anwesenden autistischen Kindes begründen keinen Fehler der Kaufsache. Allein in dem Aufenthalt des behinderten Kindes liegt selbstverständlich kein Mangel (OLG Köln, NJW 1998, 766; Horst, DWW 2001, 55). Darüber hinaus begründen aber auch die Geräusche des Kindes keinen Sachmangel. Zwar können Lärmbelästigungen grundsätzlich einen Mangel der Kaufsache begründen. Hierbei ist neben der Ursache insbesondere die klägerseits vorgetragene Intensität der Geräusche in Form von Dauerhaftigkeit und erheblichem Lautstärkevolumen zu berücksichtigen. Eine mangelbegründende Lärmbelästigung ist allerdings abzugrenzen vom allgemeinen Lebensrisiko. Dabei kommt es nicht nur auf den objektiven, messbaren Geräuschpegel an, sondern auch darauf, um welche Art Geräusch es sich handelt und in welchem sozialen Zusammenhang (Ortsüblichkeit iSv § 906 Abs. 2 S. 1 BGB, Sozialverträglichkeit, Rücksichtnahmegebot) das Geräusch auftritt (OLG Köln, NJW 1998, 764; Schmidt-Futterer-Eisenschmid, Mietrecht, 9. Aufl. (2007), § 536 Rn. 97 f.).
So begründet beispielsweise Kinderlärm aus der Nachbarschaft grundsätzlich keinen Sachmangel. Es handelt sich dabei um eine übliche und sozialadäquate Beeinträchtigung (Blank/ Börstinghaus, Miete, 3. Aufl. (2008), § 536 Rn. 19). Wer ein gesteigertes Ruhebedürfnis hat, ist verpflichtet, beim Vertragsschluss ausdrücklich darauf hinzuweisen und selbst umfassende Erkundigungen in der Umgebung einzuholen (Schmidt-Futterer-Eisenschmid, a.a.O., § 536 Rn. 111 f.).
Auch aus dem Umstand, dass es sich um Geräusche eines autistischen Kindes handelt, ergibt sich kein Sachmangel. Die Laute eines behinderten Kindes beinhalten schon keine besondere, mangelbegründende Lästigkeit (OLG Karlsruhe, ZMR 2002, 418; AG Kleve, NJW 2000, 84; AG Braunschweig, ZMR 2007, 224). Allein die Einschätzung als „Schreien oder Kreischen“ kann einen Sachmangel nicht begründen. Es ist dem Kind offenbar nicht möglich, sich anders zu artikulieren. Im nachbarlichen Zusammenleben ist zudem ein erhöhtes Maß an Toleranzbereitschaft erforderlich, um dem Behinderten gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ein Leben frei von vermeidbaren Beschränkungen zu ermöglichen.
Entscheidungen aus dem Reiserecht bestätigen diese Wertung. Zwar wurde vereinzelt die Ansicht vertreten, die Anwesenheit einer Urlaubsgruppe von behinderten Menschen könne bei empfindsamen Menschen eine Urlaubsbeeinträchtigung darstellen (LG Frankfurt, NJW 1980, 1169; AG Flensburg, NJW 1993, 272). Demgegenüber wird aber zu Recht mehrheitlich auf das allgemeine Lebensrisiko verwiesen. Der Vertragspartner schulde eine vertragsgemäße Leistung im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos, nicht aber darüber hinaus einen ungetrübten Urlaubsgenuss nach subjektiver Auffassung eines empfindsamen Menschen (AG Frankfurt, NJW 1980, 1965; AG Kleve, NJW 2000, 84; Brox, NJW 1980, 1939 f.; Neuner, NJW 2000, 1833; Scholler, JZ 1980, 672 ff.). Denn Maßstab ist gemäß §§ 157, 242 BGB nicht die Beurteilung eines „empfindsamen“, sondern eines verständigen Durchschnittsmenschen. Ein verständiger Durchschnittsmensch aber weiß, dass einem behinderten Kind ein besonderer Schutz zukommt, der verfassungsrechtlich normiert ist, Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1; Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
Selbst bei Unterstellung eines Mangels (OLG Köln, NJW 1998, 765 f.; Wassermann, NJW 1998, 730 f.) wäre die erforderliche Wesentlichkeitsschwelle iSd § 906 Abs. 1 BGB nicht überschritten. Die Wesentlichkeitsschwelle ist bei derartigen Beeinträchtigungen nur erreicht, wenn keine ausreichenden Ruhezeiten bestehen (AG Braunschweig, ZMR 2007, 225; Blank/ Börstinghaus, a.a.O., § 536 Rn. 41). Im vorliegenden Fall können Ruhezeiten im erforderlichen Umfang eingehalten werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Kind nur nachmittags bei entsprechenden Witterungsverhältnissen im Garten durch Geräusche bemerkbar macht. Tagsüber kann dem Kläger aber eine weitergehende Beeinträchtigung zugemutet werden als beispielsweise zur Nachtzeit. Der Kläger hat auch die Möglichkeit, sich mit den Nachbarn auf bestimmte Ruhezeiten zu verständigen. Hinweise auf eine gesundheitliche Belastung des Klägers gibt es nicht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten aus §§ 280 Abs. 1 iVm 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht. Es kann dahinstehen, ob der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 iVm 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB neben den Gewährleistungsansprüchen des Kaufrechts nach den §§ 437 ff. BGB eine eigenständige Bedeutung hat. Jedenfalls waren die Beklagten nicht verpflichtet, vor Abschluss des Kaufvertrages auf eventuelle Beeinträchtigungen durch das behinderte Kind hinzuweisen. Eine Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich nur hinsichtlich derjenigen Umstände, die für den Vertragsabschluss des anderen Teils erkennbar entscheidungserheblich sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden kann (MK-Roth, BGB, 5. Aufl. (2007), § 241 Rn. 114; Staudinger-Olzen, a.a.O., § 241 Rn. 439).
Bei den Geräuschen des autistischen Kindes handelt es sich nicht um einen erkennbar entscheidungserheblichen Umstand. Ein entscheidungserheblicher Umstand ist nämlich nur eine Information, die geeignet ist, den anderen Teil vom Vertragsschluss abzuhalten (MK-Roth, a.a.O, § 241 Rn. 130; Staudinger-Olzen, a.a.O., § 241 Rn. 444). Der Umstand, dass ein autistisches Kind sich in der Nachbarschaft durch Geräusche bemerkbar macht, kann nicht als solches Vertragshindernis angesehen werden. Schon ethische Gründe sprechen gegen eine Verpflichtung zu derartigen Hinweisen. Sie würde nämlich zumindest mittelbar dazu führen, dass behinderte Menschen, die unter dem besonderen Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG stehen, benachteiligt werden. Abzustellen ist hierbei erneut auf einen verständigen Durchschnittsmenschen, der weiß, dass einem behinderten Menschen der besondere Schutz der Gesellschaft zuzukommen hat. Deshalb gelten auch hier die gleichen Grundsätze, die auch gegen die Annahme eines Sachmangels gesprochen haben.
Auch im Mietrecht wird bei vergleichbarer Interessenlage eine Aufklärungspflicht verneint. Ein Mieter ist beispielsweise nicht verpflichtet, über höchstpersönliche Umstände aufzuklären (Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. (1999), 338). Eine Schwerbehinderung ist ein höchstpersönlicher Umstand, der neben Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch durch Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG und einfachgesetzlich durch §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 1 AGG geschützt ist und damit auch nicht mitteilungspflichtig ist (BVerfG, NJW 1991, 2411). Weder die Erkrankung des Mieters selbst noch eines Mitbewohners ist danach aufklärungspflichtig. Daraus ergibt sich, dass Dritte, vorliegend die Beklagten, erst Recht nicht zur Preisgabe höchstpersönlicher Umstände anderer verpflichtet werden können.
Ein Vertragshindernis wegen der Beeinträchtigung aufgrund einer Behinderung wird auch bei vergleichbaren Sachverhalten im Arbeitsrecht abgelehnt. Dem Arbeitgeber ist es nur dann gestattet, bei einem Einstellungsgespräch nach einer Schwerbehinderung zu fragen, wenn gerade die konkrete Tätigkeit mit dieser Schwerbehinderung generell unvereinbar ist (Schaub/Koch/Linck/Vogelsang, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Aufl. (2007), 181 f.). Wenn man diese Wertung auf den Grundstückskauf überträgt, besteht kein Aufklärungsinteresse seitens des Klägers. Denn es ist keine Grundstücksnutzung ersichtlich, die mit dem Autismus des Nachbarn schlechthin unvereinbar wäre.
Doch selbst bei unterstellter Entscheidungserheblichkeit kann eine Mitteilung jedenfalls nach Treu und Glauben nicht erwartet werden. Eine solche Mitteilung ist nur erforderlich, wenn die nichtwissende Partei schutzwürdig und die Mitteilung der wissenden Partei nach Abwägung der Risikoverteilung zumutbar ist (Staudinger-Olzen, a.a.O., § 241 Rn. 445 f.). Wegen des natürlichen Interessenwiderstreits der Vertragsparteien besteht grundsätzlich keine Aufklärungspflicht. Jeder muss selbst das Verwendungsrisiko tragen. Nur in Ausnahmefällen fällt die Abwägung zugunsten der nichtwissenden Partei aus und begründet eine Aufklärungspflicht. Bei der Abwägung sind die Eigenverantwortlichkeit des Käufers, die Zumutbarkeit der Haftung des Verkäufers und die näheren Umstände des Vertragsschlusses zu berücksichtigen (Staudinger-Olzen, a.a.O., § 241 Rn. 446 ff.).
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 263 Abs. 1, 13 StGB besteht nicht. Voraussetzung für eine Täuschung durch Unterlassen ist eine Garantenpflicht zur Aufklärung. Wie bereits dargelegt besteht eine solche Aufklärungspflicht nicht.
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass dem Kläger auch kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zusteht. Denn es ist nach den vorstehenden Feststellungen schon offensichtlich keine sittenwidrige Schadenszufügung erfolgt.
Ein Minderungsanspruch nach §§ 434, 437 Nr. 2, 441 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB scheidet ebenfalls aus, da kein Sachmangel vorliegt.
Ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 837,52 € besteht mangels Erfolgsaussichten der Klage ebenfalls nicht; auch die geltend gemachten Zinsansprüche nach §§ 288 Abs. 1, 291 BGB scheiden aus.
Demgegenüber hat die Widerklage, mit der die Beklagten die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsvergütung in zutreffend berechneter Höhe von 1.025,30 EUR geltend machen, Erfolg. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gem. §§ 280 Abs. 1, 311 BGB sind gegeben, da der Kläger durch die unberechtigt erhobene Forderung der Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises eine nachvertragliche Pflichtverletzung begangen hat, durch die sich die Beklagten zu Recht veranlasst sehen konnten, die Beratung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Es kommt hinzu, dass den Beklagten die Verletzung einer Aufklärungspflicht vorgeworfen wurde, die, falls sie vorgelegen hätte, dem Vorwurf eines Betruges entsprochen hätte, so dass auch auf der Grundlage einer Ehrverletzung eine Ersatzpflicht hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß § 823 BGB besteht.
Landgericht Münster, Urteil vom 26. Februar 2009 – 08 O 378/08